Zum Tode von Jessye Norman hat die WELT gestern auf der ersten Seite, ganz oben, an prominentester Stelle, ein Schwarzweiß-Foto dieser großartigen Künstlerin abgedruckt, noch vor sämtlichen Meldungen aus Politik, Wirtschaft oder Sport. Sozusagen über allem stand die “Hohepriesterin des Gesangs”, wie die Redaktion sich entschieden hatte zu titeln. Ich habe das als sehr wohltuend empfunden. Diese immense und nur allzu angemessene Würdigung und Wertschätzung dieser großartigen Sängerin und Interpretin wird von Fachleuten und Musikkritikern ebenso geteilt wie von Jessye Normans Zuhörerschaft auf der ganzen Welt. Sie war auf der Opernbühne ebenso präsent wie auf dem Konzertpodium, viele ihrer Auftritte und Einspielungen bleiben unvergessen. Ihre Vier letzten Lieder von Richard Strauss zusammen mit dem Gewandhausorchester Leipzig unter Kurt Masur gehören zum Besten, was jemals aufgenommen wurde.

Doch auch außerhalb der Musikszene wurde Jessye Normans Stimme gehört. Ihr Einsatz für die Bekämpfung von Hunger und Obdachlosigkeit und ihr Engagement gegen Rassismus, auch im Opernbetrieb, waren leidenschaftlich und entschieden. Jessye Norman ist tot, aber in ihrer Stimme wird sie weiter bei uns sein.

Nun der Tag mich müd gemacht,
soll mein sehnliches Verlangen
freundlich die gestirnte Nacht
wie ein müdes Kind empfangen.

Hände, lasst von allem Tun,
Stirn, vergiss du alles Denken,
Alle meine Sinne nun
wollen sich in Schlummer senken.

Und die Seele, unbewacht,
will in freien Flügen schweben,
um im Zauberkreis der Nacht
tief und tausendfach zu leben.
Hermann Hesse, Beim Schlafengehen