Eine meiner Lieblingsopern ist “L’incoronazione di Poppea” von Claudio Monteverdi. Es ist die erste Oper mit historischem Stoff, schon das allein macht sie zu etwas Besonderem. Darüber hinaus zeigt sich Monteverdi hier außerordentlich inspiriert und innovativ hinsichtlich der Dramaturgie und der psychologischen Zeichnung der Figuren. Niemand wirkt sonderlich sympathisch (vielleicht mit Ausnahme von Seneca), doch wir müssen allen Beteiligten sehr menschliche und nachvollziehbare Motive für ihr Handeln unterstellen. Liebe, Eifersucht, Machtgier, Rache, Intrige – die Oper enthält so ziemlich alles, was das Herz begehrt und versteht. Und natürlich ein überragendes Schlussduett, gleichermaßen berauschend wie intim, schlichtweg das Liebesduett der gesamten Opernliteratur. In dieser Woche haben wir im Opernkurs verschiedene Aufnahmen und Einspielungen miteinander verglichen, darunter die von Nikolaus Harnoncourt (Zürich 1977), Marc Minkowski (Aix-en-Provence 2006), Emmanuelle Haïm (Glyndebourne 2008 und Lille 2012) und Alessandro de Marchi (Oslo 2010). Die Bilder des Blutbades in der letztgenannten Fassung sind verstörend bis atemberaubend und unbedingt sehenswert. Wer indes lieber hört als sieht, der kommt an Sonya Yoncheva (Poppea) und Max Emmanuel Cencic (Nerone) nicht vorbei (Le Concert d’Astree, Emmanuelle Haïm; Lille 2012) – musikalisch und sängerisch absolut unwiderstehlich und auf allerhöchstem Niveau, mehr geht nicht.

Poppea Lille