Wenn wir uns der Vergangenheit nicht stellen, wird alles Leben aus der Lüge kommen.
Javier Marías
Seit zwanzig Jahren warte ich darauf, dass sich ein Librettist des Romans Mein Herz so weiß (Corazón tan blanco, Barcelona 1992) annimmt, ein Textbuch daraus macht und einen Komponisten findet, der die Musik zur Oper schreibt. Mein Herz so weiß ist ein herausragendes Meisterwerk, eines der besten Bücher, die ich je gelesen habe – insofern ist der Wunsch, es möge eine Oper daraus entstehen können, wohl verständlich. Ein zentrales Thema des Romans ist die Sprache. Welche Wirkungen können Gedanken, innere Wünsche und Geheimnisse auslösen, wenn sie einmal ausgesprochen sind? Betrug und Wahrheit, Verbrechen und Sühne, Verzweiflung und Liebe – was, mein Herz (so weiß), verlangst du mehr? Das obige Zitat ist dem Klappentext des in diesem Jahr bei Fischer in Frankfurt erschienenen Buches So fängt das Schlimme an entnommen (Así empieza lo malo, Madrid 2014). Marías ist als Topograf seelischer Abgründe und Leidenschaften eine Ausnahmeerscheinung, eines Beweises hat es nach so vielen Jahren großer Romane nicht bedurft. Umso stärker und unvermittelter erzeugt seine Sprache gleich auf den ersten Seiten einen unwiderstehlichen Sog. Wir wissen, wie recht er hat und lesen trotzdem weiter. Wir müssen weiterlesen, auch wenn wir im Vorhinein wissen, dass wir Erschütterungen in unserem Leben nicht umgehen können, auch die größten nicht, und dass es keine Gerechtigkeit gibt. Ein Moralist und Pessimist sei er, meint Sigrid Löffler. Vielleicht stimmt das ja. Aber wir erkennen beim Lesen die Vexierbilder unseres eigenen Lebens! Auflösen allerdings müssen wir sie schon selber.