Nach längerer Pause habe ich mal wieder die Nr. 5 der Bachianas Brasileiras von Heitor Villa-Lobos gehört. Die Vokalise ist ungeheuer einprägsam, sie brennt sich beim ersten Hören gewissermaßen auf die geistige Festplatte, löschen ist schwierig. Auf www.kammermusikfuehrer.de ist das Besondere dieser Musik sehr zutreffend erläutert:

“In den Bachianas Brasileiras hat Villa-Lobos seiner Verehrung für die Musik Johann Sebastian Bachs Ausdruck verliehen. Die Bachischen Züge der neun Werke werden jedoch “brasilianisiert”, indem sie sich mit Elementen der Volksmusik Brasiliens verbinden. Dem Komponisten war die Folklore seiner Heimat nicht nur durch sein Musizieren mit den Choros, den Straßenbands in Rio, vertraut, sondern auch aufgrund ausführlicher Studien im brasilianischen Urwald. Angeblich soll er dabei Kannibalen in die Hände gefallen sein, die ihn nur deshalb verschonten, weil er so schöne Musik machen konnte. Im Paris der Zwanziger Jahre kamen solch abenteuerliche Geschichten aus dem Urwald besonders gut an, und mit ihrer Hilfe und dank der exotischen Küche seiner Heimat gelang es Villa-Lobos, seine “brasilianischen Soiréen” zur Sensation der Pariser High Society zu machen. Dabei gab er neben abenteuerlichen Geschichten von zweifelhaftem Wahrheitsgehalt auch die originalen Melodien seiner Heimat zum Besten.

Diese Melodien Brasiliens mit den Formen Bachs zu verbinden, war für Villa-Lobos mehr als ein kapriziöser Einfall, in dem sich persönliche Vorlieben widerspiegelten. Er hatte zwischen beiden Musikstilen, so weit sie auch geographisch wie historisch auseinanderliegen mochten, strukturelle Gemeinsamkeiten entdeckt. Diese Erkenntnisse hatte er gleichsam im “Modellversuch” bei den Straßenmusikern Brasiliens erprobt und festgestellt, dass für sie die Musik Bachs eine ganz natürliche, unkomplizierte Angelegenheit war.

Diese Affinitäten brachten ihn 1930, nach seiner Rückkehr aus Paris, auf die Idee, Bach und Brasilien gemeinsam einen Zyklus zu widmen. Die Nr. 5 dieser Reihe ist die berühmteste, denn sie weist neben den vier Cellostimmen (wahlweise zu verdoppeln) einen Sopran auf. Dieser mischt sich gleich zu Beginn des Adagios mit einer langen Vokalise ins Geschehen, derweil die Celli eine Art freier Passacaglia im Fünfvierteltakt spielen. Herrliche, “Bachische” Vorhaltsdissonanzen bestimmen diesen Teil des ersten Satzes. Erst im schnelleren Mittelteil geht der Sopran zur Rezitation des ersten Gedichts von Ruth Corêa über, das vom Glanz des Mondes in der Nacht und der “Saudade” erzählt, dem unverwechselbaren portugiesischen Wort für Sehnsucht. Am Ende kehren die sehnsüchtigen Vorhalte des Beginns zurück, während der Sopran ins Summen übergeht.”

Villa-Lobos