Gestern Abend haben wir uns, wie jeden Mittwoch, im Kreis der Opernfreunde getroffen und uns Donizettis Lucia di Lammermoor angesehen. Die Aufnahme aus der Metropolitan Opera aus dem Jahr 1983 zeigt Joan Sutherland in der Titelpartie auf der Höhe ihrer Gesangskunst, Alfredo Kraus ist ein fast ebenbürtiger Edgardo. Richard Bonynge am Pult wählt zumeist frische Tempi und kommt damit den Bühnenakteuren sehr entgegen. Die Inszenierung ist eher konventionell und unspektakulär, Kostüme und Ausstattung sind dagegen opulent und treffen den Geschmack derjenigen, die es gern üppig bis protzig mögen. Donizettis Kunstgriff, in der “Wahnsinnsarie” die Flöte im Orchestergraben sozusagen als Alter ego der um den Verstand gebrachten Lucia zum Einsatz zu bringen, ist ein kompositorisches Bravourstück der gesamten Belcanto-Epoche.

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Gaetano Donizetti, Lithografie von Joseph Kriehuber (1842)

Dem vernichtenden Urteil meines Dirigierlehrers zur Studienzeit (“Über Donizetti kann man sagen: Die Callas hat das toll gesungen”) habe ich schon damals widersprochen, und zwar nicht wegen der Callas. Weder mein Lehrer noch ich kannten alle 71 Opern, die für Donizetti nachweisbar sind (das wird sich bis heute kaum geändert haben). Das gesamte Œuvre geht weit über Lucia di Lammermoor, L’elisir d’amore, La fille du régiment oder Don Pasquale hinaus. Maria Stuarda, Anna Bolena, Lucrezia Borgia und La favorite, um nur wenige weitere Opern zu nennen, sind dafür bekannte Belege mit zahllosen Aufführungen in allen großen Opernhäusern der Welt. Es dürfte dabei kaum der Anspruch ehemaliger wie heutiger Operndiven oder Startenöre gewesen sein, ihre herausragenden Stimmen an wertlose Partituren zu verschwenden.