Leute, die zu spät ins Theater kommen, sollte man erschießen. Ist nicht von mir, sondern von Woody Allen. Nun, dass manche Leute ärgerlicherweise glauben, sie könnten bei Konzertbesuchen kommen und gehen, wann sie wollen, ist hinlänglich bekannt. Der rechtliche Rahmen widerspricht dem Anspruch auf Einlass nach Vorstellungsbeginn. So müssen also Zuspätkommende im Foyer warten, im für sie schlechtesten Fall bis zur Pause. Dies wird von Theater zu Theater zwar unterschiedlich gehandhabt, doch das ist eine andere Frage.

Was ist mit denen, die vor Ende der Vorstellung gehen wollen? Dürfen die so einfach mitten im Monolog oder während des Duettes aufstehen und gehen? Das Recht erlaubt es ihnen, und Akteure, Publikum und Veranstalter sind gezwungen, ihnen dabei hilflos zuzusehen. Es spielt keine Rolle, ob die Zufrühgeher noch den Zug erwischen wollen, zur Toilette müssen, oder ob ihnen das Stück nicht gefällt. Der Veranstalter kann Theater- und Konzertbesucher nicht zum Bleiben zwingen. Er kann höchstens um Rücksichtnahme bitten und hoffen, dass der vorzeitige Aufbruch während des Beifalls, zwischen den Sätzen oder bestenfalls in der Pause erfolgt.

Wir haben in der Musikschule – früh übt sich, was ein Meister werden will, auch in Benimmfragen – per Aushang die Bitte formuliert, den Konzertsaal bei laufenden Veranstaltungen nur während des Beifalls zu betreten, wenn man denn schon zu spät kommt. Gestern nun betritt eine Mutter mit einem Kleinkind, das gerade ein Eis bekommen hat, zu den Klängen von Schuberts Ges-Dur Impromptu den Saal – ohne schlechtes Gewissen, dafür mit Eis! Ist Benehmen wirklich Glücksache? Oder die fünfköpfige Familie, die bei Bachs Goldberg-Variationen für Cembalo in der ersten Reihe sitzt und plötzlich, inmitten der siebzehnten Variation, aufsteht und durch den Mittelgang den Saal verlässt. Schon mal was von Konzert-Knigge, von Respekt gegenüber dem Künstler, dem Publikum und dem Werk gehört? Ein Konzertsaal ist ein öffentlicher Raum, in dem andere Regeln gelten als im heimischen Wohnzimmer! “Wann darf ich klatschen?” – so einen Kurs hatten wir schon. “Wann darf ich kommen und gehen?” – wollen wir über solch eine Unterweisung wirklich nachdenken, und sei es aus Notwehr?