„Der Wein ist deshalb so gefährlich, weil er nicht die Wahrheit ans Tageslicht bringt, sondern gerade ihr Gegenteil: Er enthüllt die vergangenen, vergessenen und erledigten Geschichten der Menschen, und nur bedingt ihren gegenwärtigen Willen. Er bringt willkürlich all die flüchtigen Gedanken ans Licht, mit denen man vor längerer oder kürzerer Zeit gespielt und die man wieder vergessen hat. Er spottet der Absicht, irgendetwas zu streichen, er liest alles aus dem menschlichen Herzen, was trotz der Streichung immer noch lesbar geblieben ist. (…) Kurz, unsere ganze vergangene Schicksalsgeschichte bleibt für immer irgendwie lesbar, und der Wein liest alles laut vor und schreit es in die Welt hinaus, ohne sich um die Korrekturen zu kümmern, die das Leben später hinzugefügt hat.“
Italo Svevo, Zeno Cosini
Verhält es sich nicht mit der Musik ebenso? Bringen nicht Klänge und Melodien, die wir vor vielen Jahren kennen gelernt, gesungen und gespielt haben, Erinnerungen zurück, ganz nah und unmittelbar? Wie oft sagen wir “als wäre es gestern gewesen”, wo doch Jahre ins Land gegangen sind, in denen wir uns und unser Leben neu geordnet haben, vielleicht mehrfach! Die Musik kennt eben auch keine “Korrekturen”, sie bleibt immer bei sich und macht die “Streichungen” im Herzen lesbar, sichtbar, hörbar – wie schön!