Bei außergewöhnlichen Wasserständen, so heißt es, ist eine Schifffahrt durch die Loreley-Passage immer noch mit beträchtlichen Risiken verbunden. Die gefährlichsten Felsen im Fahrwasser sind zwar gesprengt, doch gibt es immer wieder Unfälle. Aus zuweilen ungeklärten Gründen kommt es zu Grundberührung, zum Ausfall von Antrieb und Steuerung. In der Folge müssen havarierte und manövrierunfähige Schiffe mit großem Aufwand wieder freigeschleppt werden.

Ein schönes Bild. Wenn unser Leben eine Schifffahrt ist, wie vielen Loreleys begegnen wir dann? Und bringt uns nur deren Gesang und Schönheit vom Kurs ab, oder gibt es noch andere “ungeklärte” Gründe für Steuerungsprobleme und Kontrollverluste? Warum genau werden wir manövrierunfähig? In Brentanos Ballade kommen die Rheinschiffer an den Felsenriffen zu Tode – so arg müssen unsere Lebenshavarien nicht enden, doch die Katastrophen bleiben sozusagen nicht im Schiffsrumpf stecken. Wir spüren sie an uns selbst, und sie sind uns anzusehen. Wählen wir denn im Wiederholungsfall die längere, umständlichere, aber sichere Route, vielleicht wenigstens teilkaskoversichert? Oder entscheiden wir uns wieder für das Unkalkulierbare, das Abenteuer, das Risiko? Loreley live, life for love. Oder war es umgekehrt? Wir könnten uns wappnen und außer unserem Schiff auch uns selbst einem Sicherheits-Check unterziehen. Die Frage ist, ob wir das wollen – und damit womöglich ein noch größeres Desaster einleiten. Immerhin, soweit haben wir verstanden: Wenn wir nicht wenigstens einen der von uns selbst gewählten Häfen sicher erreichen, liegt es wahrscheinlich nicht am Schiff. Und für ein Schiff ohne Hafen ist kein Wind der richtige. Aber das wusste schon Seneca.

kitschlore
Kunstverlag Michel & Co, Frankfurt am Main