Gestern haben wir in der Evangelischen Kirche Wetzlar-Naunheim unser Chorprojekt mit einer “Geistlichen Abendmusik” zum Abschluss gebracht. Auf dem Programm standen drei Begräbnisgesänge von Johann Rosenmüller, der Schlusschor aus Jephte von Giacomo Carissimi und zwei Sätze aus Fünf Stücke für Streicher 0p. 44/4 von Paul Hindemith. Ich habe dem Publikum, wie ich es gern tue und auch immer wieder dazu ermutigt werde, Erläuterungen zur Musik gegeben – zu historischen und biografischen Hintergründen, zu Satztechniken, zum Wort-Ton-Verhältnis und manchem mehr. Unter anderem sprach ich über die Taktwechsel in den Chorälen –  über den Platz für Trauer und Klage in den geradtaktigen ersten Abschnitten, über Erlösungs- und Seligkeitsversprechen in der jeweils folgenden Tripla.

Binnen weniger Tage habe ich jetzt zwei Interviews mit Roger Willemsen gesehen, beide aus dem letzten Jahr, kurz vor seinem 60. Geburtstag, aufgenommen zu einem Zeitpunkt, als er seine Krebsdiagnose noch nicht kannte. Im Gespräch mit Juri Steiner spricht er über die normale, dem Alter entsprechende körperliche “Materialermüdung” und sagt, dass er diesbezüglich keine großen Dramen auf sich zukommen sieht. Dann ergänzt er, dass er ein “stark reduziertes Interesse an der Zukunft” hat und beschließt das Interview mit der Antwort auf die selbstgestellte Frage, wer er sei: “Ein Entflammter, ein Vermittler.”

Nach einer Woche ist sein Tod für mich immer noch unwirklich. Seine Rhetorik, seine Erzähl- und Fabulierlust sind vielfach bestaunt und gerühmt worden, zu Recht. Mehr als das aber rühren mich seine empathische Leidenschaft und das tiefe Gespür dafür, was wirklich wichtig ist in diesem Leben. “Ich würde gerne glauben, aber ich kann nicht”, hat er einmal gesagt, und der Sinn des Lebens “besteht darin, die gegebene Frist sinnvoll zu nutzen. Nicht nur Spaß zu haben.” Wenn die Frist dann um ist, was ist mit einem Leben nach dem Tod? “Darüber kann ich nichts wissen, und das betrübt mich nicht.”