Mehr oder weniger spontan bin ich gestern nach Erfurt gefahren, um mir im dortigen Theater die Premiere von Luigi Cherubinis Medea (1797) anzusehen. Die Erfurter zeigen das Stück in Co-Produktion mit der Opéra de Nice und dem Landestheater Linz in französischer Sprache mit Übertiteln und deutschen Dialogen. Es war im Übrigen das Gießener Stadttheater, das 1998 die Deutsche Erstaufführung in dieser Form zeigte. Seitdem setzt sich diese Fassung mehr und mehr durch und entspricht damit der Intention des Komponisten. Während der 50er Jahre war die Medea die Paraderolle von Maria Callas, allerdings in der italienischen Übersetzung, wodurch das Werk damals als romantische italienische Oper wahrgenommen wurde.
Luigi Cherubini (1760 – 1842) war bereits zu Lebzeiten ein hochgeschätzter Komponist. Beethoven sah in ihm den “größten lebenden Opernkomponisten”, und Brahms – dem Musiktheater sonst nicht so zugetan – sah in Medea bzw. Médée “das höchste an dramatischer Musik”. Cherubini erlebte aufgrund seines recht langen Lebens verschiedene musikalische Epochen, was seiner Musik deutlich anzumerken ist. Darüber hinaus sind sein musikalisches Gespür für dramatische Situationen und seine Gabe der psychologisierenden Zeichnung der handelnden Personen außergewöhnlich. So ist die Oper, ganz abgesehen vom erzählerischen Rang der Medea in der griechischen Mythologie, ein wirklich besonderes Stück mit hohem Repertoirewert. Nicht umsonst übrigens haben sich auch Komponisten anderer Epochen von diesem Stoff herausgefordert gefühlt wie z. B. Marc-Antoine Charpentier zur Barockzeit oder Aribert Reimann, dessen Medea erst 2010 ihre Uraufführung in der Wiener Staatsoper hatte.
Theater Erfurt, Foyer (Foto: Lutz Edelhoff)
Die Erfurter Produktion verlegt die Handlung in die Neuzeit und spielt in einem modernen Großraumbüro mit freiem Blick auf zahlreiche (New Yorker?) Wolkenkratzer. Das ist durchaus überzeugend und betont die Zeitlosigkeit der Erzählung auf pointierte Weise. Die Erfurter können sich glücklich schätzen, mit Ilia Papandreou eine hervorragende Medea auf die Bühne bringen zu können. Ihr Sopran bringt die gesamte Gefühlspalette der verzweifelt Liebenden grandios zum Ausdruck, dem Jason (Eduard Martynyuk) emotional nichts Gleichwertiges entgegenzusetzen hat. Julia Neumann überzeugt als Dircé, die die Katastrophe von Anfang an kommen sieht und auf schmalem Grat zwischen düsterer Vorahnung und verdrängender Partylaune wandelt. Der Chor agiert präzise und klanglich eindrucksvoll. Samuel Bächli ist für die musikalische Leitung zuständig und dirigiert gewohnt sicher und zuverlässig. Wer Lust und Zeit hat, ein eher selten gespieltes Werk auf gutem Niveau zu erleben, dem sei die Erfurter Medea auf jeden Fall empfohlen.