Mal angenommen, wir begännen tatsächlich zu hinken, wenn wir mit einem Lahmen lebten. Was könnten die Gründe sein? Und wäre es ein beruhigender Umstand, weil wir uns damit als verständnisvoll, mitfühlend und zugewandt ansehen könnten? Vielleicht wäre das eine mögliche Perspektive – wir passen uns dem Lahmen an, gehen sein Tempo mit, sorgen dafür, dass er sich verstanden und integriert fühlt. Wir bieten ihm Chancen, eröffnen ihm Möglichkeiten. Wir zeigen Mitmenschlichkeit und Nächstenliebe.

Wir können aber auch das von Plutarch zitierte Sprichwort ganz anders verstehen. Ist der Lahme nicht nur selbst behindert, sondern behindert er obendrein auch uns? Bremst er nicht unsere Möglichkeiten aus? Lenkt er uns, ob absichtlich oder nicht, in Richtung politische Korrektheit und Zwangsempathie? Steckt er uns nicht an mit seinem Hinken? Ein Lahmer hält doch unseren täglichen Staffellauf nur auf, wir kommen ohne ihn schneller ans Ziel. Beruhigen wir also unser schlechtes Gewissen, soweit vorhanden, und kaufen ihm bessere Gehhilfen oder einen neuen Rollstuhl. Wir sind doch nicht etwa zu mehr verpflichtet?

Gute Sprichwörter sind immer gleichzeitig Zuspruch und Mahnung, beinhalten Affirmation und Zweifel. Sie erinnern uns an Stärken und Schwächen, an Mögliches und Unmögliches. Wie schön!