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2017

22. Dezember 2017

22. Dezember 2017

Nach Hause kommen, das ist es, was das Kind von Bethlehem allen schenken will, die weinen, wachen und wandern auf dieser Erde.
Friedrich von Bodelschwingh (1831 – 1910)

Wenn Sie also den Weihnachtsschmuck im Keller gefunden und die Lichterketten entwirrt haben, wenn Vanillekipferl und Zimtsterne halbwegs gelungen und die online bestellten Geschenke rechtzeitig eingetroffen sind, können Sie mit dem Nach-Hause-kommen anfangen. Nehmen Sie sich Zeit! Zeit für sich selbst, für Ihre Lieben, für neue Pläne. Versuchen Sie nicht, perfekt zu sein. Lassen Sie einfach los. Entspannen Sie sich und feiern Sie friedvolle Weihnachten. Kommen Sie gut nach Hause!

21. Dezember 2017

Morgen ist letzter Schultag, danach geht es in die wohlverdienten Weihnachtsferien. Auf dem Programm steht Entspannung, wieder mehr Sport und natürlich Kultur. Ich bin mit Opernbesuchen etwas im Rückstand, also werde ich am 28. Dezember in Duisburg Maria Stuarda (Donizetti) sehen, zwei Tage später dann in Dortmung Eugen Onegin. Und danach geht es für ein paar Tage nach Dresden, wo ich ein Privatquartier gefunden habe, direkt am Blauen Wunder, 50 Meter von der Elbe entfernt. Natürlich gehe ich die Semperoper, gleich nach Neujahr, und werde dort Korngolds Die tote Stadt erleben. Kaffee und Kuchen habe ich mit Wippler am Körnerplatz ja sozusagen vor der Nase, ins Raskolnikoff (Böhmische Straße) muss ich natürlich auch. Und zum Hopfenkult (Görlitzer Straße). Das war’s auch schon, mehr ist nicht geplant.

19. Dezember 2017

19. Dezember 2017

Donnerstag, 25. Januar 2018, 19.30 Uhr
Fishing in the Falling Tide
Szenische und klangliche Erforschung
Studierende der Ruhr-Universität Bochum
Konzertsaal der Wetzlarer Musikschule

Freitag, 26. Januar 2018, 19.30 Uhr
Il Spirito della Diminution
Internationales Ensemble für Alte Musik
Untere Stadtkirche

Samstag, 27. Januar 2018, 19.30 Uhr
Alles ist da, nichts bleibt
Experimentelle Improvisation
Trio Susanne Escher (CH)
Konzertsaal der Wetzlarer Musikschule

Sonntag, 28. Januar 2018, 11.00 Uhr
Mozart, Ehekrach und blaue Donau
Udo Hartlmaier, Klavier
Konzertsaal der Wetzlarer Musikschule

18. Dezember 2017

18. Dezember 2017

So langsam mache ich mir Gedanken über das Essen an den Weihnachtsfeiertagen. Gans mit Rotkohl und Klößen ist immer eine Option. Da geht’s dann nur noch ums Drumherum, also welche Suppe vorweg, zum Dessert Eis oder Pudding, welcher Wein und so weiter. Zum Thema Klöße habe ich jetzt gelesen, dass die aus Niedersachsen stammende US-Schauspielerin Diane Kruger (Troja, Inglourious Basterds, Aus dem Nichts) mit ihren selbstgemachten Knödeln in den USA nicht ankommt. Knödel seien sehr deutsch, meint sie dazu verständnisvoll, aber da müssten ihre Freunde nun mal durch.

Mir wird dieses “Uummm, was ist das denn?” an Weihnachten erspart bleiben. Klöße kennt in der Familie jeder – egal, ob es um Semmel-, Kartoffel-, Speck-, Spinat- oder sonstwelche Knödel geht. Kloß oder Knödel ist übrigens das Gleiche. “Kloß” kommt aus dem althochdeutschen kloz und bedeutet Klumpen, Knolle oder Kugel. Und solange die Klöße nicht so schmecken, als falle außer dem Namen auch ihre Herstellung in die Zeit des Althochdeutschen, ist alles gut.

16. Dezember 2017

Heute Nachmittag, im Weihnachtskonzert der Wetzlarer Musikschule, erklingt unter anderem der langsame Satz aus dem “Winter” der Vier Jahreszeiten von Vivaldi. Viele Musikliebhaber wissen nicht, dass es Sonette zu diesem berühmten Zyklus gibt, auf die die Musik komponiert wurde. Mit großer Wahrscheinlichkeit stammen die Texte von Vivaldi selbst. Für das Largo des “Winters” gibt es diese Zeilen: “Ruhige und zufriedene Tage am Kamin zubringen, während draußen der Regen viele durchnässt.” Die Solovioline steht dabei für das wärmende Feuer, die Pizzicati der Streicher verdeutlichen díe ans Fenster schlagenden Regentropfen. Nun ist die Rolle des Zuhörers eine Sache der Perspektive: Stehen wir draußen und gucken hinein, oder sitzen wir drinnen und schauen hinaus? Je nach Blickwinkel ändert sich die Wahrnehmung der Instrumente. Natürlich müssen sich auch die Ausführenden überlegen, welche Sichtweise sie transportieren wollen. Soll die Solovioline dezent begleitet werden, oder spielen die Streicher die Hauptrolle – mit dominanten, wenig schön gespielten Klängen? Auf dem CD-Markt gibt es unzählige Aufnahmen der Vier Jahreszeiten. Den größten Gegensatz bieten bis heute Karajan und Harnoncourt. Der eine mit Klangschönheit, aber ohne sonderliches Interesse am Inhalt der Sonette, der andere mit treffsicherer Textauslegung und dazu bewusst gewählter, rauer Intonation. Und wir können entscheiden, was uns besser gefällt!

13. Dezember 2017

13. Dezember 2017

Innsbruck, ich muss dich lassen …

12. Dezember 2017

In letzter Zeit ist in den Printmedien, doch auch in Fernsehdiskussionen und Polit-Talkskows häufiger von einem “Narrativ” die Rede, welches vermeintlich dringend benötigt, fälschlich benutzt oder unentwegt verbreitet wird. Frauke Petry wünschte vor ein paar Monaten auf die Frage, ob sie die Radikalisierung ihrer Ex-Partei nicht mit in Gang gesetzt habe, “mit diesem Narrativ bitte endlich Schluss machen” zu können. Schleswig-Holsteins Umweltminister Robert Habeck beließ es kürzlich immerhin bei einer “Erzählung”, die es bräuchte, um für bestimmte Koalitionen überzeugend werben zu können. Narrativ, das klingt sehr gescheit. Ähnlich wie Alexander Wehrle, Geschäftsführer des 1. FC Köln, der keinesfalls “proaktiv” auf Horst Heldt, Manager von Hannover 96, zugegangen sein will, um ihn abzuwerben. Proaktiv, das ist vermutlich aktiver als aktiv, wahrscheinlich obendrein gesünder, auf jeden Fall klingt es so.

Vor einigen Tagen meinte der Politologe Michael Oswald, dass Christian Lindner in den Jamaika-Sondierungen versucht habe, ein “für ihn normativ gutes Programm” in die Regierung zu übertragen. Stellt sich die Frage, ob seine Mitsondierer möglicherweise während der mehrwöchigen Konsultationen nicht ausreichend proaktiv auf ihn zugegangen sind. Vielleicht hat Lindner seinerseits auch mit einem Narrativ gegeizt, wer will das wissen? Im Nachhinein war es aus liberaler Sicht normativ jedenfalls kein gutes Programm. Immerhin wird jetzt außer GroKo auch KoKo erwogen, bald vielleicht auch KroKo oder SchoKo. Aber das Narrativ muss passen, normativ wie proaktiv, sonst wird das wieder nichts!

Pause bis zum 12. Dezember 2017

29. November 2017

29. November 2017

Als ich ein kleiner Junge war, arbeitete mein Vater ein paar Jahre lang für das Nordwestlotto. Auf seinen Touren zu den Lotto-Annahmestellen durfte ich ihn manchmal begleiten, was mir immer Freude machte. Wir unternahmen die Fahrten mit dem Dienstwagen, einem alten Mercedes Ponton 180 Diesel. Bei kürzeren Aufenthalten wartete ich im Auto, bei längeren ging ich mit hinein und bekam eine Limonade oder ein Eis, während mein Vater seine Gespräche führte. Besonders gern fuhr ich zum “dicken Mörs”, wie mein Vater den Mann nannte, der zusammen mit seiner Frau eine Annahmestelle in Westerholt leitete. Der dicke Mörs hatte im Hinterzimmer des Ladenlokals ein Aquarium, in dem Guppys und Neonsalmler schwammen. Ich bewunderte die Schönlinge bei jedem Besuch.

Eines Tages rief der dicke Mörs an und sagte, er habe zwei Klaviere aus einem Nachlass, wir könnten eins davon haben, wenn wir wollten. Ich erinnere mich gut, dass ein schwarzes und ein braunes Instrument zur Auswahl standen. Das braune, für das wir uns schließlich entschieden, war ein schönes Klavier der Marke Hilger/Essen. Auf die Frage nach dem Preis zündete sich der dicke Mörs eine Zigarette an und sagte, er habe keine Ahnung. Ob hundert Mark in Ordnung wären? So kam ich also zu meinem ersten Klavier, das es übrigens heute noch gibt. Es lässt sich leider nicht mehr gut stimmen und wird demnächst zur Hausbar umgebaut. Dem dicken Mörs, Gott hab’ ihn selig, wär’s wohl egal.

27. November 2017

27. November 2017

Es hat alles gepasst: Bustransfer und Fährpassage, Hotel (Clayton Chiswick****, exzellenter Service), Stadtführung mit Wolfgang Florek (WF Consulting, sehr kompetent), Opernaufführung von Lucia di Lammermoor im Royal Opera House (mit einer grandiosen Lisette Oropesa als Lucia in einer geistreichen Inszenierung von Katie Mitchell). Das schöne Wetter (sonnig, zwischen 5° und 10° C) und zwei, drei angenehme Besuche in Pubs und Restaurants rundeten das Ganze ab. Und eine Entdeckung: Camden Pale Ale.

Ich habe nur ein Sixpack gekauft, um einen Grund zu haben, schnell wieder hinzufahren. Dann kann ich auch die Ausstellung Opera: Passion, Power and Politics im Victoria and Albert Museum besuchen. “It’s a remarkable achievement that ultimately has the potential to change the way you think.” (The Guardian)
Zeit ist bis zum 25. Februar 2018.

22. November 2017

Morgen geht es für vier Tage nach London. Am Freitag steht im Royal Opera House eine Aufführung von Donizettis Lucia di Lammermoor auf dem Spielplan, worauf ich mich sehr freue. Unsere Reisegruppe ist mit 28 Personen diesmal etwas kleiner als sonst. An- und Abreise nehmen jeweils einen Tag in Anspruch, vielleicht hat das ein paar Opernfans in diesem Jahr von einer Teilnahme abgehalten. Und nicht jeder schätzt die Überfahrt mit der Fähre, das kommt noch hinzu. Ich liebe ja diesen Mix aus Schiffsmotorengeräusch, Dieselgeruch und Möwengeschrei. Dazu Fish & Chips und ein erstes Newcastle Brown Ale! Durch den Duty-Free-Shop bummeln, Shortbread kaufen und noch einen Adapter, für alle Fälle. Nach knapp anderthalb Stunden sind die Kreidefelsen von Dover zu sehen. Wunderbar! Eigentlich geht das alles viel zu schnell. Vielleicht sollten wir beim nächsten Mal mit der Color Line nach Oslo fahren. Das dauert schön lange, und zum Frühstück gibt’s Kaffee, Lachs und Aquavit.

21. November 2017

Es ist eine Weile her, seit ich zum letzten Mal Korngolds 1. Streichquartett gehört habe. Im heutigen Kammermusikkurs wurde ich durch die Aufnahme des Doric String Quartets wieder daran erinnert, wie glutvoll und verzehrend diese Klänge sind, vor allem die des zweiten Satzes. Exquisit schmerzlich und melancholisch, unendlich zart und von milder Trauer, zutiefst leidenschaftlich und hochgradig sensibel – Musik für Benzinpreisvergleicher und Käserindenabschneider, würde mein Sohn sagen. Aber das macht nichts, ich komme psychisch damit zurecht.

19. November 2017

Diese ewigen antiken Kostüme! Jeden Abend andere Kothurne auf den Brettern! Helena und Antigone und Orest und Zeus und Klytämnestra und Menelaus – alles was Kostüm trägt, ist das nicht eigentlich Sommertheater? Was für ein Geklapper! Ich nehme Shakespeare nicht aus: Diese Degen und Brünnen und Wamse und Giftbecher und Dolche – als Buch gelesen unvergleichlich, aber auf der Bühne: Das Komische traurig und das Ernste zum Lachen!
Gottfried Benn (1886 -1956)

17. November 2017

17. November 2017

Manches, was ein schönes Bild abgeben soll, kommt doch über eine unbeholfene Kleckserei nicht hinaus.

16. November 2017

Cathy Berberian war vielseitig und unangepasst. Sie sang klassische Opernpartien, aber auch Lieder von Gershwin und Weill, ebenso Beatles-Songs. Von 1950 bis 1964 war sie mit dem Komponisten Luciano Berio verheiratet, interpretierte dessen Musik sowie die anderer Avantgardisten. Igor Strawinsky widmete ihr 1963 die “Elegy for John F. Kennedy”, auch Hans Werner Henze, Darius Milhaud und John Cage komponierten für sie. Gleichzeitig arbeitete sie mit Nikolaus Harnoncourt und spielte zusammen mit ihm Opern und Madrigale von Monteverdi ein.

Nicht selten hat sie den kommerziellen Musikbetrieb und seine Gepflogenheiten kritisert, auch Gesangs-Kolleginnen blieben nicht verschont. Einigen warf sie vor, dass sie sich “mit einer Handvoll mühsam einstudierter, populärer Opernpartien reich und fett” gesungen hätten. Und über den Großteil der Schubert-Lieder, immerhin insgesamt etwa sechshundert, sagte sie: “Ein Großteil der Schubert-Lieder wird im Konzertleben ignoriert – zu Recht. Und wenn sie nicht von Schubert wären, würden auch von den Musikologen kein Hahn mehr danach krähen.”

Traditionsbewusst und neugierig war sie, mutig, leidenschaftlich, anspruchsvoll und zuweilen selbstironisch. Eine Sendung des Deutschlandfunks von 1993 fasst es so zusammen: “Die Lieder-Recitals der Cathy Berberian hatten denn auch immer etwas von einem clownesken ‘Gesamtkunstwerk’ an sich, eine Gratwanderung zwischen Seriosität und Slapstick. Jeder ihrer Auftritte war kunstvoll arrangiert: Wenn sie mit bizarr onduliertem Platinhaar und in selbstentworfenen Kleidern mit der Mimik eines Hollywood-Komikers das Podium betrat, spätestens dann war dem Publikum klar, dass diese Sängerin den hehren, etablierten Musikbetrieb ‘ad absurdum’ führen wollte, und das auf höchstem künstlerischen Niveau.”

15. November 2017

Music is the air I breathe and the planet I inhabit. The only way I can pay my debt to music is by bringing it to others, with all my love.
Cathy Berberian (1925 – 1983)

14. November 2017

14. November 2017

12. November 2017

12. November 2017

Mehr oder weniger spontan bin ich gestern nach Erfurt gefahren, um mir im dortigen Theater die Premiere von Luigi Cherubinis Medea (1797) anzusehen. Die Erfurter zeigen das Stück in Co-Produktion mit der Opéra de Nice und dem Landestheater Linz in französischer Sprache mit Übertiteln und deutschen Dialogen. Es war im Übrigen das Gießener Stadttheater, das 1998 die Deutsche Erstaufführung in dieser Form zeigte. Seitdem setzt sich diese Fassung mehr und mehr durch und entspricht damit der Intention des Komponisten. Während der 50er Jahre war die Medea die Paraderolle von Maria Callas, allerdings in der italienischen Übersetzung, wodurch das Werk damals als romantische italienische Oper wahrgenommen wurde.

Luigi Cherubini (1760 – 1842) war bereits zu Lebzeiten ein hochgeschätzter Komponist. Beethoven sah in ihm den “größten lebenden Opernkomponisten”, und Brahms – dem Musiktheater sonst nicht so zugetan – sah in Medea bzw. Médée “das höchste an dramatischer Musik”. Cherubini erlebte aufgrund seines recht langen Lebens verschiedene musikalische Epochen, was seiner Musik deutlich anzumerken ist. Darüber hinaus sind sein musikalisches Gespür für dramatische Situationen und seine Gabe der psychologisierenden Zeichnung der handelnden Personen außergewöhnlich. So ist die Oper, ganz abgesehen vom erzählerischen Rang der Medea in der griechischen Mythologie, ein wirklich besonderes Stück mit hohem Repertoirewert. Nicht umsonst übrigens haben sich auch Komponisten anderer Epochen von diesem Stoff herausgefordert gefühlt wie z. B. Marc-Antoine Charpentier zur Barockzeit oder Aribert Reimann, dessen Medea erst 2010 ihre Uraufführung in der Wiener Staatsoper hatte.

Die Erfurter Produktion verlegt die Handlung in die Neuzeit und spielt in einem modernen Großraumbüro mit freiem Blick auf zahlreiche (New Yorker?) Wolkenkratzer. Das ist durchaus überzeugend und betont die Zeitlosigkeit der Erzählung auf pointierte Weise. Die Erfurter können sich glücklich schätzen, mit Ilia Papandreou eine hervorragende Medea auf die Bühne bringen zu können. Ihr Sopran bringt die gesamte Gefühlspalette der verzweifelt Liebenden grandios zum Ausdruck, dem Jason (Eduard Martynyuk) emotional nichts Gleichwertiges entgegenzusetzen hat. Julia Neumann überzeugt als Dircé, die die Katastrophe von Anfang an kommen sieht und auf schmalem Grat zwischen düsterer Vorahnung und verdrängender Partylaune wandelt. Der Chor agiert präzise und klanglich eindrucksvoll. Samuel Bächli ist für die musikalische Leitung zuständig und dirigiert gewohnt sicher und zuverlässig. Wer Lust und Zeit hat, ein eher selten gespieltes Werk auf gutem Niveau zu erleben, dem sei die Erfurter Medea auf jeden Fall empfohlen.

9. November 2017

Gestern Abend – wir hatten gerade mit Gianni Schicchi den letzten Teil des Trittico von Puccini gesehen – kamen wir mit Blick auf Verdis Falstaff darauf zu sprechen, dass es in der Musikgeschichte häufig “Paarbildungen” von Komponisten gibt, obwohl diese sich doch sehr voneinander unterscheiden. Wir sprechen oft von “Bach und Händel”, von “Debussy und Ravel”, von “Verdi und Puccini”. Von “Haydn und Mozart” ist vielleicht seltener die Rede, doch immerhin gelegentlich, ähnlich wie von “Brahms und Bruckner”. Bei näherer Betrachtung liegen die Unterschiede nicht nur im kompositorischen oder stilistischen, sondern interessanterweise auch im persönlichen Bereich. Bei manchen “Paaren” könnte die individuelle Ausprägung charakterlicher Dispositionen nicht unterschiedlicher sein. Was also in einem Atemzug genannt wird, weist oft außer einer zeitlichen Parallelität kaum Gemeinsamkeiten auf.

Heute haben wir den zweiten Teil des Films Die siebente Saite (Tous les matins du monde, F 1991) gesehen. Glücklicherweise ist diese großartige Produktion seit einigen Wochen mit deutscher Tonspur auf DVD erhältlich. Wir lernen sehr viel beim Anschauen dieses Films, nicht nur über Musik und Geschichte. Er erzählt sehr klug und lebenserfahren über Berufung und künstlerische Unbeugsamkeit, über Ausdruckswillen und Inspiration, Liebe und Verlust, Trauer und Vergebung. Ein filmisches Geschenk von 114 Minuten, von denen man nicht eine einzige missen möchte.

8. November 2017

8. November 2017

Mit amüsierter Verwunderung über die Auswüchse der gegenwärtigen Sexismus-Debatte hier eine meiner zahlreichen schönen Erinnerungen an Barcelona.

7. November 2017

Wir können den Wind nicht ändern, aber die Segel anders setzen.
Aristoteles (384 – 322 v. Chr.)

5. November 2017

In der taz rezensiert Dagmar Penzlin die Neuproduktion von Monteverdis Oper “Il ritorno d’Ulisse in patria” an der Hamburgischen Staatsoper. Frau Penzlin erzählt in süffigem Tonfall ein bisschen über die Geschichte des Stücks, über die Regie, über die Ausstattung, über Sänger und Instrumentalisten. Gegen Ende dann folgende Passage: “So tritt die Aufführung nach der Pause zunehmend auf der Stelle. Das zurückgewonnene, in schönsten Arabesken besungene Liebesglück entschädigt am Ende dann zwar etwas für die Längen, aber ganz vergeht der Eindruck von Länglichkeit eben nicht. Das liegt auch an Monteverdis spröder Musiksprache. Das erwähnte, ins Singen gesteigerte Sprechen, das typische Monteverdi-Parlando: Es kann den Charme von akustischem Knäckebrot haben – und das hatte es in der besuchten Aufführung auch immer mal wieder.”

Es ist in Ordnung, wenn die Rezensentin einer Aufführung derselben gewisse Längen attestiert. Es ist auch nichts dagegen zu sagen, wenn dies unter Zuhilfenahme einer launigen Formulierung geschieht – damit ist bei der taz ohnehin alleweil zu rechnen, und wahrscheinlich wird seitens der Redaktion eine gewisse semantische Kreativität auch durchaus geschätzt. Aber Monteverdis Musiksprache in der zitierten Weise zu diskreditieren, ist nicht etwa launig-kreativ, sondern schlicht blöd und unqualifiziert. Das geht einfach nicht! Und es hat nichts mit persönlichen Vorlieben und Abneigungen zu tun – hier ist detaillierte Kenntnis musikgeschichtlicher Entwicklungen vonnöten und die Fähigkeit, Rang und Bedeutung eines musikdramatischen Jahrtausendgenies professionell einschätzen zu können. Frau Penzlin sind die Lektüre einschlägiger Literatur und entsprechende Hörschulungen anzuempfehlen, der taz ein sorgfältigerer Umgang mit ihrem Renommee als seriöse Zeitung auch für Kulturinteressierte.

4. November 2017

Kommt Jamaika? Wahrscheinlich. Gestern vermutete Claudia Kade, Politikressortleiterin der WELT, dass die Menschen in Deutschland eher dafür bereit seien als die Parteien. Das Publikum ist also weiter als die das Stück darbietenden Akteure. Das ist bemerkenswert und ungewöhnlich, selbst für Tragikomödien. In der nächsten Woche soll es angeblich ernst werden. Bis dahin stehen weiter royale Balkonbilder und rhetorische Pirouetten auf dem Spielplan. Wer zetert, wer zündelt, wer zickt? Wie heißt eigentlich die männliche Form von Diva? Divus, Divo? Seehofer?

2. November 2017

2. November 2017

Heute beginnt ein weiterer Crashkurs Oper. Wie immer beginnen wir mit der Frage, worum es Poppea eigentlich geht. Will sie Kaiserin sein, egal neben wem, oder ist sie scharf auf Nero und sein erektiles Begattungszäpfchen? Dazu gibt es Ausschnitte aus Monteverdis L’Incoronazione di Poppea sowie Szenen aus Opern von Purcell, Rameau und Händel.

1. November 2017

Grußwort zur Festschrift “60 Jahre Wetzlarer Musikschule”

Der Musikwissenschaftler und –psychologe Heiner Gembris hat einmal auf die Frage, ob Musizieren schlau mache, geantwortet: „Ich würde eher sagen: Wer schlau ist, macht Musik.“ Anders gesagt: Wir musizieren nicht, um unseren Intelligenzquotienten zu steigern. Also warum dann?

Der eine möchte endlich mal die erste Geige spielen, der andere will mal so richtig auf die Pauke hauen, der nächste will jemandem die Flötentöne beibringen oder ins gleiche Horn blasen – wir kennen diese Redewendungen. Sie kommen aus dem Alltag und haben ihren Ursprung in unseren Gefühlen, in unseren Wünschen und Bedürfnissen, in unserem Mut- und Gestaltungswillen. Die Wetzlarer Musikschule schafft seit nunmehr sechs Jahrzehnten individuelle wie gemeinschaftliche Möglichkeiten des aktiven Musizierens. Wir empfinden Freude, Ausgelassenheit, Nachdenklichkeit, Wut, Zuversicht – unsere gesamte Gefühlswelt findet Ausdruck in der Musik, sei es, dass wir sie einzeln oder in der Gruppe erleben.

Das Geheimnis liegt im Entwickeln eigener Fähigkeiten und in der Freude am Musizieren zusammen mit anderen. Im Grunde genommen ist es ein Programm fürs Leben: In einer Vielfalt von Farben und Klängen der eigenen Stimme treu bleiben, doch dabei stets auch die anderen wahrnehmen und sie nicht ausblenden. Das ist nicht immer leicht, doch wenn es gelingt, ist es wunderbar.

Und wer nicht hören kann, muss lernen! Die Musik nämlich erschließt sich uns ebenso im Erkennen und Verstehen von Zusammenhängen, im Analysieren von Satztechniken und Kompositionsstrukturen, von stilistischen Merkmalen, von musikgeschichtlichen und biografischen Hintergründen. Auch hier bietet die Musikschule entsprechende Zugänge durch Kurse, Vorträge, Projekte und Exkursionen. Instrumentalisten, Musikliebhaber und Konzertbesucher lernen auf unterschiedlichste Weise, Musik zu verstehen. Bisweilen verstehen sie dabei auch sich selbst – wie schön!

„Mit Musik geht alles besser“, sang Rudi Schuricke einst. Klingt einfach, ist es auch. Statt „Musik“ könnte es auch „Musikschule“ heißen. So ist das mit Evergreens, die bleiben einfach immer jung. So wie wir.

Thomas Sander
Schulleiter

30. Oktober 2017

30. Oktober 2017

Gestern Abend lief im WDR-Fernsehen eine Reportage über Barcelona. Ich habe erst spät eingeschaltet, doch glücklicherweise wird der Beitrag am 5.11. wiederholt (zwar um 4.30 Uhr, aber das lässt sich ja programmieren bzw. aufzeichnen). Ein paar Bilder aus Barceloneta habe ich aufgeschnappt, dann musste ich leider aus dem Haus. Doch die wenigen Bilder haben völlig ausgereicht, sofort war alles wieder präsent. Barceloneta war von Anfang an “mein” Viertel, hier war ich oft und habe mich wohlgefühlt wie lange nicht.

Die Wachen haben eine gemeinsame Welt; im Schlafe wendet sich jeder seiner eigenen zu.
Heraklit von Ephesos, griechischer Philosoph (ca. 540 – 480 v. Chr.)

Letzte Nacht hatte ich einen schönen, wenngleich seinen Sinn verbergenden Traum. Ich war ganz offensichtlich in eine junge, hübsche Taxifahrerin verliebt, die ihrerseits meine Gefühle zu erwidern schien. Sie verriet mir ihren Namen nicht, auch Kolleginnen und Geschäftsleute aus dem belebten Viertel, in dem wir verkehrten, konnten nicht weiterhelfen. Die Sonne schien, und ich ging für meine Freundin einkaufen. Sie wartete im Taxi, um mir später in gezuckertem Tonfall Süßigkeiten ins Ohr zu flüstern. Wahrscheinlich waren wir in Barceloneta unterwegs, und ebenso wahrscheinlich hieß sie Rebecca.

Dann war plötzlich, ohne ersichtlichen Grund, der Traum vorüber, was ich noch jetzt bedauere. Der Psychologe Stephan Grünewald empfiehlt dringend, unsere Träume ernst zu nehmen. So ist es am Ende doch gut, dass wir uns nichts er-träumen können! Es gibt ihn eben nicht, diesen Ticketautomaten für Trauminhalte, den Traumgenerator. Heute Nacht immerhin hat mein Großhirn keine Mühe gehabt, aus Erlebnissen und Sehnsüchten eine schöne, im Wortsinne fantastische und dabei halbwegs zusammenhängende Geschichte zu machen. “Wenn Träume wahr werden …”, heißt es manchmal. Dabei sind die Träume selbst ja immer wahr. Ob wir ihre Botschaften verstehen, ist eine ganz andere Frage.

27. Oktober 2017

23.30 Uhr, zurück aus dem Kino. Den Schneemann habe ich gesehen, einen britischen Thriller um einen psychopathischen Mörder, der Frauen umbringt, vorzugsweise junge Mütter und nur, wenn es schneit. Nach der Tat baut er einen Schneemann, sozusagen als Signatur. Ich habe mir den Film, der passable Krimi-Unterhaltung liefert, aber kein cineastischer Meilenstein ist, ehrlich gesagt nur wegen Rebecca Ferguson angesehen. Sie ist einfach wunderschön, selbst als Leiche, eine halbe Stunde vor Schluss. Ab da habe ich mich noch höflichkeitshalber für die Auflösung des Falles interessiert, welche ohne Überraschungen geliefert wird. Die Landschaftsbilder aus dem winterlichen Norwegen sind unbedingt eindrucksvoll, wenngleich sich das gewisse Frösteln eigentlich wegen der filmischen Handlung einstellen sollte. Ein paar grausam-brutale Bilder gibt es in der Tat, wie es sich für so ein Genre gehört. Verstört oder gar schlaflos macht der Schneemann allerdings nicht, was ja auch sein Gutes hat.

25. Oktober 2017

Versuche, deine Gefühle unter Kontrolle zu bekommen – und du verlierst die Kontrolle über dein Leben. Der Verstand ist nicht immer unser Freund. Er gibt uns gute und weniger gute Ratschläge. Die weniger guten sollten wir nicht befolgen.
Matthias Wengenroth

24. Oktober 2017

Es war ein schönes Konzert gestern Abend in der Frankfurter Alten Oper. Ein “klassisches” Sinfoniekonzert sozusagen, mit der Reihenfolge Ouvertüre-Solokonzert-Sinfonie. Dass es schön war, lag hauptsächlich an der Musik. Bachs dritte Orchestersuite ist eben ein starkes Stück und auch durch größere Extravaganzen nicht so leicht zu entstellen. Dirigent Stefan Blunier zwang das Frankfurter Opern- und Museumsorchester zu mitunter grotesk beschleunigten, sensationslüsternen Tempi und verspürte darüber hinaus wenig Neigung, den Blechbläsern dynamische Grenzen zu setzen. Vor der Pause dann Max Bruchs 1. Violinkonzert, in dem Solist Renaud Capuçon mit einer geschlossenen und stilsicheren Interpretation überzeugen konnte. Abschließend Mendelssohns 5. Sinfonie (“Reformations-Sinfonie”) mit warmen Klängen, leider zuweilen wieder mit Blechdominanz und unschönen Binnencrescendi, doch klangintensiv und alles in allem durchaus ansprechend. Ein schöner Abend dank guter Musik.

22. Oktober 2017

22. Oktober 2017

Diesmal habe ich ein paar Tage gebraucht, um wieder zurück in den Alltag zu finden. Das kenne ich so eigentlich nicht, denn normalerweise hat mich die Arbeitswelt doch sehr schnell wieder. Der Aufenthalt in Barcelona war jedoch so beeindruckend, dass diese Zeit immer noch nachwirkt und mich vermuten lässt, dass sich eine gewisse Depotwirkung eingestellt hat, unter deren Einfluss ich dem Alltag anders begegne. Es war eine fantastische Zeit mit herrlichem Wetter,

großartigem Essen (jeden Tag Fisch!), sehr netten und aufgeschlossenen Menschen, wunderbaren Gebäuden und Plätzen und einem grandiosen Maskenball im Gran Teatre del Liceu – Piotr Beczała mit einer Weltklasseleistung in der Rolle des Riccardo!

Mein Lieblingsviertel ist Barceloneta, die Gegend um den alten Hafen, wo direkt neben modernen Apartments, Boutiquen und Flaniermeilen in Strandnähe das eigentliche, einfache und bodenständige Leben spielt. Hier bin ich oft durch die Gassen spaziert, in denen es aussieht wie in der Altstadt von Neapel. Ich habe Kaffee, Tonic oder Vino blanco getrunken und im Restaurant La Taberneta (Carrer d’Andrea Doria) sehr gut und dabei preiswert gegessen. Sehenswürdigkeiten hat Barcelona natürlich reichlich, das Barri Gòtic, die Sagrada Familia, die Kathedrale, das Palau de la Música, La Rambla, zahlreiche Museen und ganz vieles mehr. Nicht alles muss einem gefallen (mit der Gaudì-Architektur z.B. tue ich mich schwer), und nicht alles kann in sechs Tagen angeschaut werden. So werde ich also wiederkommen, und zwar bald. Allein schon, um in der Pulperia Bar Celta zur Mittagszeit Empanadas de atún und Ribeiro zu genießen. Demnächst mehr.

Pause bis zum 18. Oktober 2017

6. Oktober 2017

6. Oktober 2017

Ich nehme übrigens das Flugzeug. Angenehm ist mir das nicht, ehrlich gesagt, aber die Alternativen sind Bahn oder Auto, was in jedem Fall lange dauert und strapaziös sein kann. Eine Möglichkeit ist natürlich immer, es mit Konfuzius zu halten und den Weg als Ziel anzusehen. So könnte ich also durchaus das Auto nehmen, für den Weg nach Barcelona und zurück jeweils vier Tage einplanen und täglich etwa 350 Kilometer fahren. Schöne Hotels aussuchen, kleinere hübsche Orte anschauen und so weiter. Vielleicht ein andermal.

5. Oktober 2017

5. Oktober 2017

Ab Mittwoch der nächsten Woche bin ich für sechs Tage in Barcelona, ich habe das in einem früheren Eintrag bereits erwähnt. Ich denke nicht, dass es aufgrund der gegenwärtigen politischen Auseinandersetzungen zu größeren Unruhen kommen wird. Zwar empfiehlt das Auswärtige Amt, Menschenansammlungen zu meiden, aber damit sind sicher nicht Opernaufführungen gemeint. So freue ich mich also auf Verdis “Maskenball” im Gran Teatre del Liceu mit Piotr Beczała in der Rolle des Riccardo. Weitere konkrete Pläne habe ich nicht. Ich lasse die Stadt auf mich zukommen, das hat sich in anderen Metropolen immer bewährt. Mir liegt das Abarbeiten von “Must see”-Listen nicht, vieles wird sich von allein ergeben. Es ist mein erster Besuch in Barcelona. Nach allem, was ich höre, erwartet mich eine wirklich großartige Stadt. Ich bin schon sehr gespannt und werde hier darüber berichten.

2. Oktober 2017

2. Oktober 2017

It’s easy to be green – either you have reason or money.

1. Oktober 2017

Der baden-württembergische Ministerpräsident Kretschmann hat denjenigen, denen es an Fantasie für Jamaika fehlt, Michael Endes Roman „Die unendliche Geschichte“ oder den Besuch von Opern ans Herz gelegt. Weil, so die Begründung, “diese kreativen Menschen zeigen, wie man aus altem Stoff unentwegt was Neues macht.“ Zwar verschweigt Kretschmann bei seiner Empfehlung, dass “was Neues” nicht zwangsläufig “was Gutes” bedeutet, und dass darüber hinaus Tragödien auch in der Oper Tragödien bleiben, egal wie kreativ sie erzählt sind. Dennoch wünschte man der oft prosaischen Bundespolitik in der Tat ein etwas opernhafteres Flair, wenngleich der Gedanke an die Oper als Verständnishilfe für obsessive Strategien und clandestine Machtgelüste etwas verzweifelt Komisches an sich hat.

29. September 2017

29. September 2017

27. September 2017

Thadeusz und die Beobachter waren gestern Abend im rbb Fernsehen erneut in exzellenter Form und boten einen launigen Mix aus treffsicherer Analyse und politpsychologischer Kaffeesatzleserei in bramarbasierender Selbstironie. Das hat Witz, Geist und Fantasie. Viele Vertreter des deutschen Politjournalismus kann man seit geraumer Zeit mit Fug und Recht dafür kritisieren, dass sie entweder parteiisch, arrogant oder schlecht vorbereitet sind (oder alles gleichzeitig). Thadeusz und seine Beobachter sind keine Wunderwesen, wohlverstanden. Aber eines sind sie: Fantastische Unterhalter und unterhaltende Fantasten. Zuweilen im Tonfall heiterer Resignation und mit der Klugheit von Hofnarren bieten sie uns Fakten, vermeintliche Hintergründe und im Wortsinne wahre Spekulationen. Das ist allemal vortrefflich unterhaltend und auf diesem Niveau im Fernsehen mittlerweile sehr selten.

26. September 2017

Nur weil ein paar schwarz-gelb-grüne urbane Eliten in Berlin auf fünf Quadratkilometern rund um den Biomarkt friedlich zusammenleben, ist Jamaika noch kein Koalitionsmodell. Jamaika ist tot. Und das ist auch gut so.
Ulf Poschardt, Chefredakteur der Zeitung “Die Welt”, am 12. September 2017 (!)

Star einer politischen Talkshow (“Hart aber fair” vom 25.09.) zu werden, ohne selbst anwesend zu sein – das muss man erstmal schaffen. Respekt!

25. September 2017

Bei der Vorbereitung zur Besprechung des 2. Streichquartetts (“Intime Briefe”) von Leoš Janáček finde ich bei kammermusikfuehrer.de die Einschätzung, es handle sich um “ein Werk, das an Intensität und Leidenschaft kaum ein Gegenstück in der Kammermusik hat, obwohl es von einem 74-jährigen Komponisten in seinem letzten Lebensjahr geschrieben wurde.” Als Quelle wird J. Vogel angegeben. Für Herrn oder Frau Vogel ist der leidenschaftliche Mittsiebziger offenbar ein Oxymoron, wie sonst ist das “obwohl” zu verstehen? Irgendwann lassen doch Intensität und Leidenschaft nach, so ab der Rente vielleicht. Und muss man denn wirklich noch mit vierundsiebzig grandios verliebte Kammermusik schreiben? Und das obendrein für eine 36-jährige, du liebe Zeit! Manche Sachen macht man einfach ab einem gewissen Alter nicht mehr, zum Beispiel Riesenrad fahren, nächtens im Strandkorb Champagner trinken oder eben “intime Briefe” schreiben. Nach Tucholsky liebt der Beamte seine Frau immer dienstags. Vielleicht auch noch mit vierundsiebzig, wer weiß. Aber nur in Schaltjahren, wegen der Intensität und Leidenschaft.

23. September 2017

Porto. Frei nach Andreas Brehme sage ich nur ein Wort: Unbedingt ansehen! Wegen allem.

21. September 2017

21. September 2017

Heute Abend sehe ich Porto, einen 2016 von Gabe Klinger in Frankreich, Polen und Portugal gedrehten Spielfilm mit Lucie Lucas und Anton Yelchin in den Hauptrollen. Das Portal filmstarts spricht von “erlesenen Bildkompositionen”, von einer “kostbaren Seltenheit im heutigen Erzählkino, wo häufig auch noch die letzte kleine Unklarheit wegerklärt wird.” Im Ergebnis sei der Film eine “toll gespielte, ästhetisch und erzählerisch anspruchsvolle filmische Meditation über eine Amour fou und ihre Unmöglichkeit.” 20.45 Uhr, Marburger Filmkunsttheater, Steinweg 4 (Oberstadt), 35037 Marburg.

20. September 2017

20. September 2017

 

18. September 2017

Die meisten Konzerte der Wetzlarer Musikschule finden in einem äußerlich eher schmucklosen Rahmen statt. Es gibt Blumengestecke links und rechts der Bühne, ansonsten spricht der schöne Konzertsaal für sich und wirkt – mit Ausnahme von Kinder- oder Weihnachtskonzerten – ganz ohne weitere Dekoration. Einige Veranstaltungen haben eine Pause, während der kein gastronomisches Angebot vorgehalten wird. Auch hier gibt es Ausnahmen, wie z. B. das Preisträgerkonzert “Jugend musiziert” oder das Weihnachtsliedersingen der Partnerschaftsgesellschaften. Wir sind eine Musikschule, kein Opernhaus.

Gestern Abend beim Lehrerkonzert, es ist gegen Ende der Pause, spricht mich eine Dame an: “Herr Sander, wir vermissen den Sekt!” Spontan zeige ich, wie Diplomatie richtig geht und äußere Verständnis ebenso wie Betroffenheit, von wegen Personal und Aufwand und Kosten und so weiter. Es ist nur ein kurzer Dialog, aber ich finde, die ersten Sätze der Dame hätten dem großartigen Programm, den Künstlern und ihren Darbietungen, dem freien Eintritt gelten sollen. Das mit dem Sekt hätte sie abschließend als kleine, freundliche Anregung unterbringen können, wenn überhaupt an diesem Abend. Aber wie heißt et kölsche Jrundjesetz: Jede Jeck is anders.

15. September 2017

Jordi Savall hat vor Jahren mit seinem Ensemble Hesperion XX die Suite in C-Dur aus der Studenten-Music von Johann Rosenmüller (Leipzig 1654) auf CD eingespielt. Die Suite enthält, wie üblich, mehrere Tanzsätze, darunter auch eine Sarabanda. Dieser aus Spanien stammende “Pfauentanz” gab bei Hofe den Männern Gelegenheit, sich zu zeigen, zu produzieren, wie eben der Pfau, der sein Rad schlägt und beeindrucken will. Die Sarabande ist der langsamste aller höfischen Tänze. Und so musiziert Savall diesen Tanz geradezu entrückt, mit weltvergessener Zeitlosigkeit und einem berührenden Sentiment, das tiefe Sehnsüchte in uns weckt. Das ist sehr bewegend und so überirdisch schön, dass es schmerzt. Aber es zeigt, dass wir leben, und wir sollten die Fähigkeit, so empfinden zu können, als Privileg begreifen und dafür dankbar sein.

13. September 2017

Die schönsten Sachen, die ein Mensch zu einem anderen Menschen sagt, sagt er leise. Auch in der Musik sind die zarten Momente die schönsten.
Jordi Savall

11. September 2017

Im Kurs morgen Vormittag hören wir nur Geburtstagsständchen, die wir ausnahmsweise so nennen dürfen:

Monteverdi, L’Incoronazione di Poppea, Schlussduett
Händel, Ode for St. Cecilias’s Day, Chorus “From harmony”
Mozart, Don Giovanni, Finale
Brahms, Klavierkonzert Nr. 1 d-Moll op. 15, 2. Satz: Adagio
Debussy, Prélude à l’Après-midi d’un faune
Schostakowitsch, Cellokonzert Nr. 1 Es-Dur op. 107, 1. Satz: Allegretto

10. September 2017

10.00 Uhr. Fahre jetzt nach Gießen ins Stadttheater und höre mir die Einführungsmatinee zu Don Giovanni an. Premiere ist am kommenden Samstag. Ich bin wirklich gespannt, denn just bei diesem Stück ist der Grat zwischen intelligenter, psychologisch verständiger Auslegung und irrwegiger Interpretationswillkür außerordentlich schmal. Bis später.

14.00 Uhr. Wieder zurück. Es war launig und unterhaltsam, keine Frage. Regisseur Wolfgang Hofmann, sekundiert von fünf Sänger/-innen, Korrepetitor und Bühnenbildner, gab einen Einblick in die Fassung, die das Gießener Theater präsentieren wird. Leider wird das Finale-Sextett aus der ersten, also der Prager Fassung nicht enthalten sein. Hofmann erklärte, dass nach Don Giovannis Höllenfahrt alle übrigen Akteure nichts mehr zu sagen hätten und somit verstummen müssten. Sehr schade, wenngleich Mozart für Wien das besagte Sextett ebenfalls gestrichen hat, aber doch aus anderen Gründen. In der Prager Fassung haben alle Beteiligten sehr wohl noch etwas zu sagen! – Eine schöne Idee der Matinee, die Sänger/-innen aus der Perspektive ihrer jeweiligen Rolle erzählen zu lassen! So erklären Donna Anna und Don Ottavio jeweils in der Ich-Form ihre widersprüchlichen Wünsche und Sehnsüchte, ebenso wie Zerlina – in Abwesenheit von Masetto – frei heraus beschreibt, warum sie zwar in den Stand der Ehe treten wird, an das große Glück jedoch nicht glaubt. Die Erläuterungen zum Bühnenbild lassen ahnen, dass es – wer hätte das gedacht – sparsam ausfallen wird. Und nach der Höllenfahrt Don Giovannis,. so Hofmann sibyllinisch, “kommt aber noch etwas”. Hoffen wir, dass es von Mozart sein wird.

8. September 2017

“Ich bin der James Bond der SPD”, sagt Martin Schulz. Na schön, aber wenn das so ist, und sei es nur ironisch gemeint, hätte ihn seit Wochen eine entsprechende Werbekampagne begleiten müssen! Schulz mit schönen Frauen, schnellen Autos und einer Menge Wodka-Martinis. Gut, die trinkt er nicht mehr, aber das macht nichts. Wer von uns weiß nicht, dass der eigentliche Sinn von Wahlplakaten im Entertainment liegt (die FDP macht’s ja gerade vor)? Eine Anregung fürs nächste Mal: Schulz (oder wer immer es dann sein wird) in souveräner Macho-Pose, vor einem Cabrio, im Smoking, umringt von Blonden, Brünetten und Rothaarigen, einen Drink in der Hand und mit knallharter Politanalyse: “Probleme? Ich bin geschüttelt, nicht gerührt.” Dann klappt’s auch mit dem Kanzleramt.

6. September 2017

6. September 2017

Zurzeit lese ich “Der Himmel über Greene Harbor” von Nick Dybek, das Debüt eines jungen amerikanischen Autors. In den USA haben sich vor ein paar Jahren, als das Buch erschien, zahlreiche Kritiker mit Lobreden und geradezu hymnischen Artikeln gegenseitig überboten. Angeblich soll das Buch alles enthalten – Sinnlichkeit, Tiefgang, Dynamik, Glaubwürdigkeit und so weiter. Es handelt vom Ende einer Kindheit, von rauer See, von Glück, von Entbehrungen, von der Schwierigkeit, eine gute Ehe zu führen, von Verrat und moralischen Verfehlungen. Nicht schlecht für den Anfang.

Tatsächlich bin ich jetzt auf Seite 104 und habe damit etwa ein Drittel des Buches hinter mir. Ich werde das Buch weiterlesen, weil ich wissen will, wie es ausgeht. Es ist bisher für meinen Geschmack keine sprachliche oder inhaltliche Offenbarung, zielen manche Sätze (“Sein Gesicht sah aus wie eine Brechstange”) doch allzu sehr auf Wirkung, klingen dann aber bemüht oder bleiben oberflächlich. Dennoch ist es ein lesenswerter Roman, und die Geschichte ist interessant, nicht zuletzt wegen der Hauptfrage, die das Buch behandelt: Wie weit ist ein Mensch bereit zu gehen, um das von ihm selbst gesteckte Ziel zu erreichen?

4. September 2017

Kunst ist nicht die Nutzanwendung eines Schönheitskanons, sondern das, was Instinkt und Gehirn über jeden Kanon hinaus fassen können. Wenn wir eine Frau lieben, kommt es uns nicht in den Sinn, vorher ihre Gliedmaßen zu messen.
Pablo Picasso (1881 -1973)

3. September 2017

Auf ARD, ZDF, SAT1, RTL und Phoenix läuft heute Abend “Das Duell – Merkel gegen Schulz”. Auch auf 3sat ist heute Märchentag, sogar von morgens bis abends. Es gibt viele Spiel- und Fernsehfilme zu sehen, zum Teil nach Erzählungen und Geschichten der Brüder Grimm, u. a. “Das Märchen vom Schlaraffenland” und “Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen”.

1. September 2017

“Die FDP ist wie ein Glückskeks. Die Leute freuen sich erst einmal darüber. Wenn sie ihn aufmachen, stellen sie fest, dass nicht viel drinsteckt. Das ist aber erst einmal egal.” Das sagt Frank Stauss, Politikberater und Werbefachmann, in einem Interview mit n-tv. Komischerweise denke ich an Operetten. Die klingen hübsch und unterhalten ganz gut. Auf der Bühne werden nur Scheinkonflikte behandelt, wie beim Ohnsorg-Theater, nur mit Musik. Ernsthafte Auseinandersetzungen sehen anders aus. Das kann man sich zwei Stunden lang antun und ist spätestens an der Garderobe mit den Gedanken wieder woanders, wenn nicht schon während der Vorstellung selbst.

“Wenn wir gewusst hätten, dass es soviel Zeit und Energie kostet, hätten wir es trotzdem gemacht.” Der Satz stammt von Domenico Tedesco, dem neuen Trainer von Schalke 04. Hintergrund der Feststellung: Tedesco hatte dem langjährigen Kapitän Benedikt Höwedes die Kapitänsbinde entzogen, ihn bei den ersten drei Pflichtspielen der Saison auf die Ersatzbank gesetzt und ihm zudem für die Zukunft keinen Stammplatz garantiert. Ein gefundenes Fressen für die Journaille und sämtliche Fan-Foren! Wieder Operette, nur ein bisschen ernster, wie “Land des Lächelns”, obwohl den Protagonisten dasselbe wohl gründlich vergangen sein dürfte. Tedesco allerdings erinnert mehr an Lohengrin. Als “reiner Tor” ist er Überzeugungstäter, er kann nicht anders handeln. Es geht zwar nicht um Brudermord, sondern um Schalke 04, aber das ist ja ähnlich schwerwiegend. Lohengrin reist am Ende wieder ab, gramgebeugt und tief erschüttert, doch erhobenen Hauptes. Höwedes, das sei ergänzt, ist bereits weg und spielt jetzt für Turin. Dort trägt man übrigens schwarz-weiß, was seinem Denken entgegen kommen dürfte.

30. August 2017

30. August 2017

Das Schädliche an den Blechinstrumenten liegt in der Tatsache, dass sie die Lungen stärken und damit das Leben der Musikanten verlängern.
George Bernard Shaw (1856 – 1950)

29. August 2017

Für das diesjährige Weihnachtskonzert der Musikschule wird sich ein Projektchor bilden, der von Ende Oktober bis Mitte Dezember ein paar Choräle und Motetten zur Advents- und Weihnachtszeit einstudieren wird. Fest steht bisher nur, dass der Choral “Fröhlich soll mein Herze springen” von Christoph Graupner (1683 – 1760) zur Aufführung kommen wird. Ich habe mich vor über zwanzig Jahren in dieses Stück verliebt und damals auch aufgeführt. Jetzt endlich ist es wieder so weit.

Es handelt sich bei Graupners Choralsätzen um figurierte Choräle mit jeweils schlichtem Chorsatz und kunstvoller Instrumentalbegleitung durch Streichinstrumente. Vor allem die erste Violine spielt eine dominierende Rolle, sie ist der eigentlich konzertierende Partner des Chores. Vielleicht, wenn wir gut voran kommen, ergänzen wir noch den Choral “Mit Ernst, o Menschenkinder”. Sollte darüber hinaus noch Zeit bleiben, kämen als Kontrastprogramm kleine Sätze von Carl Orff (1895 – 1982) und Felicitas Kuckuck (1914 – 2001) in Frage. Das wäre allemal interessant, sowohl für den Chor als auch für das Publikum.

27. August 2017

27. August 2017

Wetzlarer Neue Zeitung, 23. August 2017

Musikschüler in “Camp Styria”
Orchesterprojekt für Jugendliche

Wetzlar/Schladming. „Anstrengend war es, aber es war ein tolles Erlebnis! Außerdem haben wir wirklich viel gelernt.“ Amely Stief (12) und Clara Lang (16) , Schülerinnen der Musikschule, waren Teilnehmerinnen am zehntägigen Orchesterprojekt „Camp Styria“ im österreichischen Schladming . „Camp Styria“, ein international angesehenes Jugendorchester-Projekt, kann auf eine 25-jährige Geschichte zurückblicken. Seit drei Jahren wird das Feriencamp in Wetzlars Partnerstadt ausgetragen. Kinder und Jugendliche im Alter von 9 bis 16 Jahren aus mehreren Nationen kommen dorthin, um sich in einem großen Orchester zu vereinen und gemeinsam zu musizieren. So auch Amely Stief und Clara Lang, Klarinettistinnen aus den Klassen von Paul Pfeiffer und Travis Meisner.

Mit dabei: Thomas Sander, Leiter der Musikschule. Er zeigte sich insbesondere von der entspannten Stimmung angetan: „Jugendliche aus unterschiedlichen Kulturen kommen hier ganz unvoreingenommen zusammen, um Musik zu machen. Die Begeisterung ist von Anfang an spürbar. Für unsere Schülerinnen ist das eine großartige Erfahrung. Ich danke meinem Kollegen Horst Krammer sehr für die Einladung, ebenso wie der Deutsch-Österreichischen Gesellschaft Wetzlar, die einen Teil der Fahrtkosten übernommen hat.“

Mehrere Stunden pro Tag wurde in Einzel- und Gruppenproben intensiv unter Leitung von namhaften Dozenten und Instrumentalpädagogen gearbeitet. Auf dem Programm stand diesmal eine Mischung aus festlichen und hochkarätigen Stücken mit Werken von Glière, Smetana, Suppé, Bernstein und Williams. Wie in den vergangenen Jahren, fand das große Abschlusskonzert in der voll besetzten Kongresshalle statt. Clara Lang konnte hier als erste Klarinette mit mehreren Soli einen guten Beitrag zum Jubiläum von „Camp Styria“ leisten.

Neben dem Musizieren war auch für Freizeit und Abwechslung gesorgt, etwa durch Sport und einen Ausflug auf den Dachstein.

Thomas Sander, Clara Lang, Wolfgang Gottfried Rabl (Dirigent), Amely Stief, Horst Krammer (Leiter Musikschule Schladming)
Foto: Holger Stief

25. August 2017

Wen Gott lieb hat, dem gibt er ein Haus in Zürich.
Sprichwort

23. August 2017

Für meinen Schubert-Vortrag “Dort, wo du nicht bist, da ist das Glück”, der im Frühjahr krankheitsbedingt ausfallen musste, gibt es nun einen neuen Termin: Freitag, 13. April 2018 um 18.00 Uhr im Konzertsaal der Wetzlarer Musikschule. Darum geht’s:

Der Wanderer auf der vergeblichen Suche nach dem Glück – dieses Bild ist nur eine von zahlreichen Facetten, die uns im Leben ebenso wie im Werk von Franz Schubert begegnen. Trotz seiner enormen Produktivität mit Kompositionen von Sinfonien, Messen, Kammermusiken, Bühnenwerken, Kirchenmusik, Chorwerken und über 600 Kunstliedern feierte Schubert Erfolge nur in kleineren Fachkreisen. Die Anerkennung eines größeren Publikums blieb ihm, der die Öffentlichkeit scheute, weitgehend verwehrt. Heute gilt Schubert als einer der größten Komponisten der Romantik, seine Werke sind selbstverständliche Bestandteile des weltweiten Konzertrepertoires. Der Vortrag versucht eine Annäherung an den Musiker und Menschen und enthält Beispiele von CD, DVD sowie live am Klavier.

21. August 2017

In der heutigen Gesamtkonferenz der Musikschule haben wir beschlossen, ab dem kommenden Semester die Ergänzungsfächer Allgemeine Musiklehre, Harmonielehre und Gehörbildung anzubieten, gestaffelt für verschiedene Altersklassen. In vergangenen Zeiten, die lange zurück liegen, gehörten diese Fächer einmal zum Pflichtprogramm. Es verstand sich von selbst, dass man begleitend zum Klavier- oder Cellounterricht auch lernte, was eine Sonatenhauptsatzform ist oder wie sich die Terz von der Quinte unterscheidet.

An den allgemeinbildenden Schulen fällt nach wie vor zuviel Musikunterricht aus, eine fundierte Unterweisung in Musiktheorie findet kaum statt, außer vielleicht in den Leistungskursen der Oberstufe – hier allerdings sollten idealerweise Tonsatzkenntnisse vorausgesetzt werden können und nicht quasi in Crashkurs-Manier nachgeholt oder gar neu vermittelt werden müssen. So widmen wir uns also in der Musikschule künftig verstärkt auch der Theorie. Kooperationen mit Gymnasien zwecks einschlägiger Studienvorbereitung sind in Vorbereitung. Vielleicht ist für Abiturienten der Neapolitaner dann nicht mehr unbedingt nur ein Keks.

20. August 2017

Für Kurzentschlossene: Heute Nachmittag, 18.00 Uhr, Friedenskirche Braunfels – ich spiele auf der Orgel choralgebundene und freie Improvisationen. Eintritt frei.

18. August 2017

Actéon hat Charpentier übrigens nach einer Geschichte aus den Metamorphosen von Ovid geschrieben. Die Metamorphosen, in kunstvollen Hexametern erstellt, enthalten Verwandlungssagen aus der griechischen Mythologie und sind seit ihrem Erscheinen – geschrieben wurden die Texte vermutlich ab dem Jahr 1 oder 3 n. Chr. bis um 8 n. Chr. – außerordentlich populär. Noch heute werden die Dichtungen im Lateinunterricht gelesen und interpretiert.

Ovid war ein kluger, wacher Geist und verstand sich nicht nur aufs Komponieren von Hexametern. “Nicht jede Frau, welche das Feuer anbläst, will kochen”, befand er knapp. Nun gut, nicht jede Elegie oder Tragödie muss in Versform verfasst sein.

17. August 2017

17. August 2017

Durch Zufall entdeckt, heute zum ersten Mal gesehen und restlos hin und weg: Marc-Antoine Charpentier, Un Automne Musical A Versailles (DVD, Armide 2005). Ein Film von Olivier Simonnet, mit hinreißenden Ausschnitten und Szenen aus Instrumental- und Vokalwerken Charpentiers. Absoluter Höhepunkt: Allons, marchons, courons aus Actéon. Christophe Rousset dirigiert und inspiriert ein Ensemble von jungen Sängern, Tänzern und Musikern. Unwiderstehlich in jeder Hinsicht, unbedingt anhören (auch auf youtube)! Eine Performance, die süchtig macht, zum sofortigen Verlieben. Manchmal übertreibe ich, diesmal nicht.

15. August 2017

Die meisten Menschen haben ihre Sterblichkeit nicht begriffen. Klingt simpel, ist es auch. Wenn man weiß, dass es gleich wieder zu Ende ist, könnte man sich natürlich in seinem Leben viel sparen. Streit, Machtgier, Unfreundlichkeit, Raffsucht zum Beispiel.
Sibylle Berg (* 1962), Schriftstellerin

Zudem könnte man, über die Ersparnis der genannten Dinge hinaus, seine so bewahrte Energie in das restliche Leben stecken. Wie heißt es so schön: Nicht dem Leben Jahre hinzufügen, sondern den Jahren Leben! Kunst und Kultur sind wahre Energiespender, sie versorgen uns mit Kraft, Mut, Zuversicht. Häufig bemerken wir den Eindruck, das ein Buch, ein Musikstück oder ein Schauspiel auf uns macht, erst später, sozusagen postperformativ (wow!). Der erste Eindruck, für den es bekanntlich keine zweite Chance gibt, ist auch im Künstlerischen unmittelbar und nicht korrigierbar. Anders verhält es sich mit der Langzeitwirkung, die uns im besten Fall mit einer Art Depotwirkung erfassen kann, und die nicht selten einen Indikator für unser eigenes Berührtsein darstellt. Tipp des Tages: Anton Bruckner, Streichquintett F-Dur, 3. Satz: Adagio.

14. August 2017

Wenn das Herz denken könnte, würde es stillstehen.
Fernando Pessoa (1888 – 1935)

13. August 2017

Morgen eröffnen wir den Start in die Schulzeit mit der 8. Sinfonie c-Moll op 65 von Dmitri Schostakowitsch. Es folgen am Dienstag die Lachrimae von John Dowland, am Mittwoch Boris Godunow von Modest Mussorgsky, am Donnerstag schließlich die Brandenburgischen Konzerte von Johann Sebastian Bach. In der Summe ergibt das einen schönen Ausgleich zu den Holprigkeiten eines jeden Wiederbeginns. Nach zwei, drei Tagen hat der Alltag einen ohnehin wieder, machen wir uns nichts vor. Die Kunst besteht darin, Freude, Ausgleich, Entspannung und Zufriedenheit schon in eben diesen Alltag einzupflegen. Vor einem Jahr sah ich an der Berliner Schaubühne am Lehniner Platz die Werbung “Macht keine Diäten! Habt Orgasmen! Und geht wählen!” Nun, es muss ja nicht gleich so etwas Drastisches sein. Ein Konzertbesuch täte es für den Anfang auch.

11. August 2017

11. August 2017

Das deutsche Sommerwetter war in diesem Jahr leider nicht berauschend. Mit einer grundlegenden Änderung ist nicht zu rechnen, also müssen wir uns gegen aufkommende Trübsal oder Übellaunigkeit wappnen und uns schönen Gedanken hingeben. Also: In Bologna habe ich in einer Buchhandlung Eataly gefunden, einen kulinarischen Führer durch die moderne italienische Küche. Welch ein schönes Wortspiel! Das Buch ist seit Längerem in englischer Sprache zu haben, am 7. September erscheint es endlich auf deutsch.

Überhaupt hilft der Gedanke an das italienische Lebensgefühl gegen sämtliche psychomentalen Auswirkungen von Tiefausläufern und Gewitterfronten. Genießen wir also einen Cappuccino (natürlich nur bis mittags), trinken ein Glas Lambrusco (Achtung, kein Billigwein!) oder Sangiovese, essen mit Frischkäse und Walnüssen gefüllte Tortellini und ein paar frische Feigen. Danach caffé, auch Grappa meinetwegen. Dann gehen, nein, wir flanieren durch die Stadt und machen uns keine Gedanken. Höchstens, wo wir am Abend einkehren wollen, draußen, unter Arkaden.

9. August 2017

Was suchen wir andere Länder unter anderer Sonne? Entkommt, wer sein Land hinter sich lässt, sich selber?
Horaz (65 – 8 v.Chr.), eigentlich Quintus Horatius Flaccus, römischer Satiriker und Dichter

Wieder zurück aus Österreich, wo ich in Schladming an der Eröffnungsveranstaltung des Musikcamps Styria teilgenommen habe. Die Steiermark hat viel zu bieten, nicht nur herrlichste alpine Aussichten und kulinarische Genüsse. Graz zum Beispiel, Landeshauptstadt mit über 280.000 Einwohnern, davon über 45.000 Studenten, ist zu Recht stolz auf seine Altstadt, die seit 1999 zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört. Renaissancebauten neben moderner Architektur, Denkmäler, Kirchen, Parks. Und ein Opernhaus, das viel Klassisches zeigt, aber auch Modernes, zum Teil mutig inszeniert. Graz ist immer einen mehrtägigen Besuch wert, so dass einem fast das Wort von Christian Morgenstern in den Sinn kommt: Was ist das erste, wenn Herr und Frau Müller in den Himmel kommen? Sie bitten um Ansichtskarten.

Endgültig: Vom 23. – 26. November geht es für vier Tage nach London, Covent Garden. Die diesjährige Opernreise ist jetzt organisatorisch in trockenen Tüchern, wir haben endlich die Bestätigung für 40 Karten im Parkett (Orchestra Stalls) in den Reihen 12, 13 und 14. Besser geht es kaum, und wir freuen uns auf eine Vorstellung von Donizettis Lucia di Lammermoor im Royal Opera House. Der Gesamtpreis liegt bei erschwinglichen € 625 p. P. mit Übernachtung im DZ im Clayton Chiswick London Hotel**** (EZ-Zuschlag € 115) mit Frühstücksbuffet, Fahrt im modernen Reisebus**** mit Fährpassage Calais-Dover und Dover-Calais, eine halbtägige Stadtführung London und Opernkarte inklusive. Dazu gibt’s zwei Tage vor Reisebeginn eine Einführung in der Wetzlarer Musikschule, wie immer.

Und vorher, wo wir schon dabei sind, geht’s im Oktober nach Barcelona ins Gran Teatre del Liceu. Auf dem Programm steht Verdis Un ballo in maschera. Ich bleibe sechs Tage, sozusagen für jedes Lebensjahrzehnt einen Tag. Vorher stelle ich nur ein Sparschwein auf, mehr nicht. Statt DVDs, CDs, Bücher oder Wein zu kredenzen können Gratulanten die Operntour unterstützen. Nach einem Sektempfang mit anschließendem Brunch auf irgendeiner Hotelterrasse mit Seeblick ist mir einfach nicht.

2. August 2017

Frei nach Loriot könnte ich sagen, dass eine Sommerpause nicht in Italien zu verbringen zwar möglich, aber sinnlos ist. Aus früheren Tagen kannte ich Genua, Mailand, Turin, Venedig, Florenz, Rom und – noch aus dem letzten Jahr – Neapel. Auf der Wunschliste stand immer auch Bologna, wo ich nun endlich war. Es ist eine wunderbare Stadt mit reichlich Kunst und Kultur, prächtigen Bauten, herrlichen Gassen und Plätzen, mit studentischem Leben und ausgezeichnetem Essen. An meinem Ankunftstag hatte das Teatro Comunale seine letzte Vorstellung in dieser Spielzeit, für einen Besuch war ich zu spät, aber das macht nichts. Ein weiterer Grund, nochmal wiederzukommen! Ach, Italien …

Pause bis zum 31. Juli 2017

8. Juli 2017

18.00 Uhr, immer noch 31 °C. Also kaltes Abendessen.

50 g Garnelen, gewürzt mit Zitronenöl und -pfeffer
10 – 12 schwarze, in Gewürze eingelegte Oliven
2 hartgekochte halbierte Eier, mit Kräutersalz
3 – 5 Scheiben kräftige Salami
Brie, Gouda (mittelalt), Bûche de chèvre
2 – 3 frische oder getrocknete Feigen, alternativ Konfitüre
ein paar Walnüsse
Baguette und/oder Roggenbrot
dazu Riesling, Chardonnay oder Retsina

7. Juli 2017

Noch einmal kurz zu Yura Yang, die ich am letzten Sonntag in Gelsenkirchen als souveräne Dirigentin von Don Giovanni erlebt habe. Die Südkoreanerin ist 27 Jahre alt und gibt als ihr Vorbild Carlos Kleiber an. Ihre musikalische Vorliebe gilt der Oper, ihr Lieblingsstück ist der Rosenkavalier – das passt!

6. Juli 2017

6. Juli 2017

Im Allgemeinen sind ja leider die Stücke von mir angemehmer als ich.
Johannes Brahms (1833 – 1897)

Otto Böhler (1847 – 1913)
Schattenbild Johannes Brahms

4. Juli 2017

Schön war’s! Ein bisschen nostalgisch, aus persönlichen Gründen. Wie vertraut einem doch ein Ort sein kann, nach so vielen Jahren! Mozarts Don Giovanni ist natürlich für ein Wiedersehen, besser gesagt für ein Wiedererleben das perfekte Stück, obwohl es darauf gar nicht ankommt. Die Gelsenkirchener haben ein sehr gutes, klangschönes Orchester, das von Yura Yang souverän geleitet wurde. Hinsichtlich der Gesangspartien blieben zwar ein paar Wünsche offen, doch der Gesamteindruck war positiv, was auch für das Bühnenbild gilt, ebenso wie für die Kostüme.

Mit zwei Tagen Abstand kann ich allerdings mit der Inszenierung auch nicht mehr anfangen als am Abend selbst. Ich glaube nicht, dass Leporello und Don Giovanni ein und dieselbe Person sind, dass der eine das Alter Ego des anderen ist. Deswegen glaube ich auch nicht, dass Leporello und Donna Elvira das eigentliche Paar der Oper bilden. Der Verweis auf Schnitzlers Traumnovelle wirkt bemüht und willkürlich. “In allen Wesen, die ich liebte, habe ich immer nur dich gesucht.” Schön und gut, doch Freud und Schnitzler lassen sich damit für beinahe jede Spielwiese als Kronzeugen heranziehen. Und natürlich bietet der Umstand, dass Leporello und Don Giovanni mehr oder weniger das gleiche Stimmfach teilen, eine Steilvorlage für alle möglichen Fantasieblüten der Regie! Kostümtausch, Rollentausch, Identitätstausch? Muss das “Who’s who?” des Don Giovanni neu geschrieben werden? Nein, muss es nicht! Masetto ist nicht der uneheliche Sohn des Komturs, und Zerlina ist nicht die Stiefschwester der Donna Anna. Nur Don Ottavio hat keinen Partner in gleicher Stimmlage – was haben sich Mozart und Da Ponte nur dabei gedacht?

2. Juli 2017

2. Juli 2017

Mein erster Besuch im Musiktheater im Revier liegt fast fünf Jahrzehnte zurück, auf dem Programm stand damals Lortzings Zar und Zimmermann. Auch als älterer Schüler und später als Student war ich gerne zu Gast in diesem renommierten Haus und habe dort viele niveauvolle Aufführungen miterlebt, vorwiegend Opern, die meisten während der Ära Leininger/Mund. Mein letzter Opernbesuch in Gelsenkirchen liegt mittlerweile ein halbes Leben zurück, und so freue ich mich sehr, heute Abend wieder an die Kulturstätte meiner Jugend und frühen Erwachsenenzeit zurückzukehren. Auf dem Spielplan steht Mozarts Don Giovanni.

1. Juli 2017

1. Juli 2017

Gesehen in Limburg an der Lahn. Schon klar, dass man sich an den Enten nicht satt essen soll – aus mehreren Gründen. Die mit Snacks, Salaten und Steaks aufwartende Obermühle spielt dabei nur eine Nebenrolle.

30. Juni 2017

Gestern ging an der Wetzlarer Musikschule mein Crashkurs Oper zu Ende, der sich über vier Abende erstreckte und insgesamt achtzehn Klangbeispiele enthielt aus Werken von Monteverdi, Cavalli, Rameau, Purcell, Händel, Mozart, Weber, Bizet, Tschaikowsky, Wagner, Verdi, Puccini, Strauss, Schostakowitsch und Henze. Die Teilnehmenden wünschen eine Fortsetzung im November, sozusagen einen Aufbau-Crashkurs für fortgeschrittene Anfänger. Wie schön! Ab Januar 2018 soll dann ein begleitender Grundkurs Klassische Musik folgen, der Basiswissen vermittelt und musikgeschichtliche wie -theoretische Inhalte mit konzertpädagogischen Aspekten verbindet.

In den ganzjährig laufenden Kursen ist die Idee, im kommenden Semester Künstlerporträts anzubieten, auf sehr positive Resonanz gestoßen. Einblicke in die Arbeit von Dirigenten, Instrumentalisten, Sängern, Regisseuren und Intendanten zu bekommen, mit Ausschnitten aus Konzerten, Interviews, Briefwechseln etc. – das kann in der Tat ganz spannend werden, nicht zuletzt unter dem Aspekt der Veränderungen von Kunst und Kultur im Allgemeinen und eines circensischen Klassikbetriebes im Besonderen. Callas und Netrebko, Karajan und Dudamel, Horowitz und Lang Lang, Menuhin und Kopatchinskaja, Schenk und Clément – ich freu’ mich schon jetzt!

29. Juni 2017

Dumme und Gescheite unterscheiden sich dadurch, dass der Dumme immer dieselben Fehler macht und der Gescheite immer neue.
Kurt Tucholsky (1890 – 1935)

28. Juni 2017

Nach längerer, unbegründeter Pause habe ich gestern wieder den 2. Satz aus Schuberts Streichquintett C-Dur op. post. 163 D 956 gehört. Es ist nicht nötig, hier Kritikerstimmen zu zitieren oder Auszüge aus Konzertführern wiederzugeben. Es reicht zu sagen, dass dieses Adagio zum Schönsten und Bewegendsten gehört, was jemals geschrieben wurde. Punkt. Ohne Einschränkungen wie “in der Epoche der Romantik” oder “auf dem Gebiet der Kammermusik”. Die Musik des 2. Satzes wurde in den Schubert-Biografien Mit meinen heißen Tränen und The greatest love and the greatest sorrow verwendet, ebenso in den Filmen Die Wannseekonferenz, Der menschliche Makel und The Limits of Control.

Es ist müßig darüber zu sinnieren oder gar zu streiten, wann und unter welchen Bedingungen die Musik ihre größte Wirkung entfaltet. Vielleicht auf der berühmten einsamen Insel. Dorthin sollte man das Stück jedenfalls unter allen Umständen mitnehmen, es täglich hören und sich dabei den Gedanken an Rettung befriedet und voller Zuversicht aus dem Kopf schlagen.

26. Juni 2017

Vor mittlerweile einem guten Vierteljahrhundert schrieb Paul McCartney sein Liverpool Oratorio und erklärte damals, es sei für ihn eine Gelegenheit, sein “früheres Kokettieren mit Orchester und Chor zu einem richtiggehenden Werk auszuweiten.” Die ersten Aufführungen von 1991 sind in Bild und Ton dokumentiert, die Doppel-DVD von 2004 enthält zusätzliches Bonus-Material, Ghosts of the Past: The Making of Liverpool Oratorio und Echoes.

McCartney, der kürzlich seinen 75. Geburtstag feiern konnte, hat mit Liverpool Oratorio sein erstes klassisches “Album” vorgelegt, wie es in den einschlägigen Medien so schön heißt, wenngleich diese Bezeichnung gänzlich unpassend ist. Der junge Beatle hätte vielleicht ein “Album” veröffentlicht, der Komponist des stark autobiografischen Chor- und Orchesterwerks aber beeindruckt mit einer ausdrucksstarken Partitur, die zahlreiche verschiedene Stilelemente der sogenannten “klassischen Musik” enthält, mit einem Spektrum von barocken Zitaten bis hin zu seriellen Klangexperimenten. Nicht “Michelle”, “Yesterday” oder “Yellow Submarine” – aber McCartney!

24. Juni 2017

24. Juni 2017

Ähnlich wie das Vorspiel zum 1. Akt von Wagners Lohengrin, so nimmt auch die Titelmusik zum Thriller Basic Instinct (USA/F 1992) die nachfolgende Handlung musikalisch vorweg. Wird in Wagners Drama das Herannahen, Verweilen und Verschwinden des Ritters durch Zu- und Abnahme der Dynamik, dem entsprechendem Einsatz der Orchesterinstrumente sowie der zeitlichen Proportionen verdeutlicht, sind die musikalischen Mittel im Film kunstvoller Einsatz und raffinierte Vernüpfung von Melodik und Harmonik, welche die emotionale Verstrickung der Protagonisten veranschaulichen. Basic Instinct ist ein filmisches Meisterwerk – wegen des Erzähltempos, wegen der Kameraführung, wegen der Darsteller und nicht zuletzt wegen der verschiedenen Lesarten bzw. Deutungsoptionen, die dem Zuschauer anheim gegeben werden. Und wegen der überragenden Musik von Jerry Goldsmith.

23. Juni 2017

Wenn man immer so leben könnte, wie man will, würde man alle Kraft verlieren.
Hugo von Hofmannsthal (1874 – 1929)

“Wer mich eines Widerstands beraubt, beraubt mich einer Kraft”, hätte Strawinsky ergänzt. Und so ist es: Ein widerstandsfreies und wunscherfülltes Leben macht inaktiv, andauernde Betrachtung lähmt. Zutätigkeit sei vonnöten, so Hofmannsthal, nur sie mache das Ungeheure des Lebens erträglich. Anstrengungsloses Glück, was soll das sein? Vor den Erfolg haben die Götter den Schweiß gesetzt, wusste schon der griechische Dichter Hesiod (* vor 700 v. Chr.), Begründer des didaktischen Epos, des Lehrgedichts. Und: Wer dem Weibe vertraut, der vertraut auch Dieben. Doch über Ackerbau und Viehzucht sprechen wir ein andermal.

22. Juni 2017

Im Rahmen des Confed Cups spielt die deutsche Fußball-Nationalmannschaft heute gegen Chile. Jogi Löw hat eine junge Truppe mit nach Russland genommen, die talentiert und ehrgeizig ist. Viele Spieler wollen im nächsten Jahr mit zur WM fahren und setzen alles daran, jetzt beim Bundestrainer einen guten Eindruck zu hinterlassen. Wir brauchen ein starkes Team, sagt Löw, denn die andern wolle au Weltmeischter werde. Deshalb hat schon Jürgen Klinsmann seinerzeit nur Spieler zum Turnier mitgenommen, die wo leistungswillig waren.

21. Juni 2017

Heute Abend gibt Jonas Kaufmann sein Rollendebüt als Otello in Verdis gleichnamiger Oper. Im Royal Opera House Covent Garden singen mit ihm u. a. Maria Agresta und Ludovic Tézier. Die musikalische Leitung hat Antonio Pappano, Regie führt Keith Warner. Natürlich wünschen wir Jonas Kaufmann für seine Premiere als Otello alles erdenklich Gute, zumal er 2016 wegen eines Hämatoms auf den Stimmbändern für ein paar Monate zwangspausieren musste. Otello sei wegen ihrer Emotionalität die perfekte Verdi-Oper, wird Kaufmann zitiert, gesangliche und schauspielerische Fähigkeiten würden bis an die Grenzen getestet. Mit dieser Einschätzung liegt er vollkommen richtig, insofern freuen wir uns doppelt auf seinen ersten Otello.

Seit Anfang 2017 ist er also wieder mittendrin im Opernzirkus und bietet damit leider, zuweilen auch amüsanterweise Musikjournalisten, insbesondere Musikjounalistinnen eine vielfrequentierte Projektionsfläche für Koketterien, Schwärmereien und überhitzte Fantasien. “Da kommt er zum Interview, der Startenor – in Jeans und Mokassins, er hält einen Teller in der Hand mit Joghurt, Obst, ein bisschen Rührei. Seine Stimme klingt erstaunlich dunkel und etwas rauh, es ist noch früh am Morgen. Guten Morgen, Verehrtester, mein Name ist Marie-Theres von Berchtesgaden, ich schreibe für das Klassik-Magazin Sound so, mit Ihrem Dreitagebart sehen Sie wirklich unwiderstehlich aus, ich werd’ ganz verlegen, und jetzt hab’ ich total vergessen, zu welchen Belanglosigkeiten ich Sie etwas fragen wollte …”

20. Juni 2017

Morgen in einem Monat beginnen die Salzburger Festspiele 2017 mit einer Aufführung des Jedermann auf dem Domplatz. Natürlich ist die Vorstellung ausverkauft, wie auch alle nachfolgenden Aufführungen des Stückes. Das Niveau des Gesamtprogramms ist wie immer hoch, allerdings sind die Preise es auch – egal ob Schauspiel, Sinfoniekonzert, Liederabend oder Oper.

Wenn man nicht gerade Monteverdis Orfeo, Ulisse oder Poppea erleben will, auch nicht Händels Ariodante, Mozarts La  clemenza di Tito oder Verdis Aida, dann, ja dann gibt es für einige Produktionen noch Karten, so z. B. für Lady Macbeth von Mzensk von Schostakowitsch. Mal abgesehen davon, dass es sich um eines der bedeutendsten Werke des modernen Musiktheaters handelt, ist die Versuchung groß, ein erlesenes Gesangsensemble und die Wiener Philharmoniker unter Mariss Jansons live zu erleben. Das preiswerteste noch verfügbare Ticket kostet € 190 (Rang). Gut, einmal essen gehen kostet auch € 190, würde mein Bildeinrahmer sagen. So ist das – er staunt beim Essen, ich in der Oper. Und beide staunen wir beim Preis, könnte ich jetzt behaupten, aber das wäre gar nicht wahr.

19. Juni 2017

Eine meiner ersten Langspielplatten mit Klaviermusik war eine Aufnahme der Händel-Variationen von Brahms, gespielt von Leon Fleisher. Irgendwann später habe ich dann die Noten gekauft, um schnell festzustellen, dass das Werk technisch sehr hohe Anforderungen stellt und für mich nicht in Frage kommt. Das Stück selbst habe ich damals eingehend studiert und schätze es bis heute. Gestern Abend nun hat der Frankfurter Pianist Wigbert Traxler in der Unteren Stadtkirche zu Wetzlar einen brillanten Klavierabend gegeben und dieses Stück am Ende des Programms gespielt. Zuvor beeindruckte er mit Interpretationen von Bachs Goldberg-Variationen und den f-Moll-Variationen von Haydn. Ein Abend mit drei Variationswerken aus jeweils verschiedenen Epochen – das gefiel und traf den Geschmack des Publikums! Für mich war es zudem eine Erinnerung an eins meiner Lieblingsstücke aus Jugendtagen. Wie schön!

16. Juni 2017

16. Juni 2017

Ich bin nicht auf die Welt gekommen, um das Leben zu genießen, sondern um anderen Menschen Freude zu bereiten.
Franz Lehár (1870 – 1948)

Hm, schwierig. Das eine muss doch das andere nicht ausschießen, oder?

14. Juni 2017

14. Juni 2017

Ob im Übrigen etwas alt oder jung erscheint, ist nicht selten buchstäblich Ansichtssache.

13. Juni 2017

Niemand würde in Wagners Meistersingern alte Minnesänger-Musik des 16. Jahrhunderts erwarten, oder antike griechische Musik in Strauss‘ Elektra. Und die Orientalismen in Aida oder Samson und Dalilah sind lediglich als Farben benutzt, während es sich im Ganzen um vollblütige romantische Opern handelt. Aber ein Film ist da anders. Da versucht man nicht nur, den Geist vergangener Epochen heraufzubeschwören, sondern will diese leibhaftig wiedererstehen lassen – als echte Realität.
Miklós Rózsa (1907 – 1995)

Das ist natürlich richtig, und insofern sind die dazu verwendeten “akustischen Täuschungen” ganz pausibel. Ein paar Quartparallelen in fanfarenartigem, punktiertem Rhythmus – schon sehen wir den Sheriff von Nottingham und fragen nicht danach, ob für die Zeit von Robin Hood – sofern dieser tatsächlich ein Zeitgenosse von Richard Löwenherz war – eine solche Musik als typisch für das späte 12. Jahrhundert angesehen werden kann. Ganz sicher erklangen zur Zeit Neros die Tanzmusiken nicht wie im Spielfilm Quo Vadis, und dennoch lassen wir uns durch diese, sagen wir “antikisierten” Klänge gerne um zweitausend Jahre zurück versetzen und nehmen das Gehörte für überlieferte, bare Münze. In seiner Oper Palestrina verwendet Hans Pfitzner modale Skalen sowie Quart- und Quintverbindungen und erzeugt damit eine archaisierende Klangwelt, die uns sozusagen ins 16. Jahrhundert transponiert. Doch frei nach Bürgermeister van Bett, der im Übrigen in Lortzings Zar und Zimmermann ganz romantisch klingt, obwohl das Stück im späten 17. Jahrhundert spielt, sind wir “klug und weise, und [uns] betrügt man nicht.”

12. Juni 2017

Ein langes Wochenende steht bevor. Ich bin nur am Samstag komplett verplant und könnte gut am Freitag in die Oper gehen. In Darmstadt steht Tschaikowskys Eugen Onegin auf dem Spielplan. Ich muss bei diesem Titel immer schmunzeln, hat doch vor Jahren eine Schülerin der Jahrgangsstufe 11 im Musikunterricht ein Referat über Tschaikowsky gehalten und bei der Auflistung seiner Hauptwerke “one gin” vorgelesen. Nur “tonic” hat gefehlt. Woher soll die Arme das auch wissen, habe ich mich damals gefragt und mir meine Erheiterung nicht allzu sehr anmerken lassen.

Jetzt also überlege ich, ob ich mir diese berührende und meistgespielte russische Oper anschaue. Aufführungsdauer drei Stunden inklusive Pause. Mit Gin Tonic, versteht sich.

Zutaten: Gin (4 cl), Tonic Water (16 cl), Eiswürfel, Limettenachtel (2 Stück)
Zubereitung: Gin und Limettenachtel in ein Longdrinkglas mit Eiswürfeln geben und mit Tonic Water auffüllen.

10. Juni 2017

10. Juni 2017

Nie handle man in leidenschaftlichem Zustande: sonst wird man alles verderben. Der kann nicht für sich handeln, der nicht bei sich ist: stets aber verbannt die Leidenschaft die Vernunft. In solchen Fällen lasse man für sich einen vernünftigen Vermittler eintreten, und das wird jeder sein, der ohne Leidenschaft ist. Stets sehen die Zuschauer mehr als die Spieler, weil sie leidenschaftslos sind. Sobald man merkt, dass man außer Fassung gerät, blase die Klugheit zum Rückzuge.
Baltasar Gracián (1601 – 1658), Handorakel und Kunst der Weltklugheit

8. Juni 2017

THADEUSZ und die Beobachter – eine politische Talkrunde im rbb Fernsehen, Information und Unterhaltung, zwischen Meinung und Vermeintlichem, zwischen Belehrung und Belustigung. Kontrovers, pointiert, frech. Ironisch, clownesk, selbstverliebt. Eloquent, klug und schön. Mit Claudia Kade (Die Welt), Elisabeth Niejahr (DIE ZEIT), Dr. Hajo Schumacher (Berliner Morgenpost) und Claudius Seidl (Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung) – im Juni Nikolaus Blome (BILD) – sowie Gastgeber Jörg Thadeusz. Lohnt sich immer – nicht verpassen!

7. Juni 2017

7. Juni 2017

Metronomangabe 92. Was ist 92? Was ist 92 in der Berliner Philharmonie, und was ist 92 im Musikverein Wien? Eine Idiotie! Denn jeder Saal, jedes Stück, jeder Satz hat ein eigenes, absolutes Tempo, was diese Situation – nicht eine andere – wiedergibt!
Sergiu Celibidache (1912 – 1996)

6. Juni 2017

“Das Unmögliche möglich zu machen wird ein Ding der Unmöglichkeit”, sagt Andreas Brehme einstmals und meinte damit nicht Schönbergs Bläserquintett op. 26. Das wäre schlechterdings auch recht unpassend gewesen, denn tatsächlich macht diese Komposition so ziemlich alles möglich. Sie gibt tradierten musikalischen Formen wie Sonatenhauptsatzform, Scherzo und Rondo ihren Raum, revolutioniert aber dabei musikalische Inhalte und Abläufe. Sämtliche Postulate der Zwölftöner, nämlich Emanzipation der Dissonanz, Atonalität, Panthematik sowie die Ablehnung musikalischer Redundanz kommen im Bläserquintett op. 26 zum Tragen. Die Verwendung klassischer Formtypen ist eine Art Ausgleich zu den inneren klanglichen Abläufen, zum Reihenmaterial und dessen Permutationen. Anders gesagt, die Musik wird mit ihren neuen Inhalten durch die Beibehaltung alter Formen verständlicher. Die musikalischen Ausdrucksmittel wandeln sich, doch nicht ihr formaler Rahmen. Kein Ding der Unmöglichkeit – und sehr zu empfehlen für eine erste Annäherung an die Zwölftonmusik!

5. Juni 2017

5. Juni 2017

Bei den diesjährigen Internationalen Filmfestspielen von Cannes waren die deutschen Beiträge überraschend erfolgreich. Wie ich höre, spricht man deshalb vom “Cannesback” des deutschen Films. Schön.

3. Juni 2017

NDR Talk Show, gestern Abend. Es sind ein paar interessante Gäste da, u. a. Florian Schroeder und Peer Steinbrück, der auf die Frage “Sind Sie zu klug für dieses Land?” sagt: “Stellen Sie sich vor, ich würde darauf eine Antwort geben.” Ansonsten eine unspektakuläre Sendung, mit Leuten, die wie immer über ihren gerade abgedrehten Film, ihre anstehende Tournee oder über sonst was erzählen. Am spannendsten sind die Minuten, in denen es darum geht, warum wir häufig persönliche Ziele, die wir uns gesetzt haben, nicht verfolgen. Endlich Spanisch lernen, einen restaurierten Oldtimer fahren, den Kilimandscharo besteigen. Warum tun wir’s nicht? Warum benutzen wir, wenn wir von unseren unrealisierten Plänen erzählen, die Wörtchen “eigentlich” und “aber”? Eigentlich wollten wir schon immer mal, aber … Eine Theorie, warum wir Vorsätze nicht in die Tat umsetzen, besagt, dass uns das Ziel nicht attraktiv genug erscheint. Für das, was wir bekommen, ist der Aufwand zu groß – zu langwierig, zu mühsam, zu teuer. Und wir haben den Aufwand mehr im Blick als das Ziel, an dessen Erreichen uns – wie wir jedenfalls behaupten – doch so viel liegt. Wir sollten unsere Vorurteile – zu langwierig, zu mühsam, zu  teuer – überprüfen. Vielleicht kostet die Karte für das Festival, auf das wir immer wollten, gar nicht so viel. Vielleicht sind Flug und Hotel günstiger als gedacht. Vielleicht zeigen wir bei einem Kurs erstaunliches Talent und machen schnell Fortschritte. Vielleicht. Probieren wir’s. Wir wollen es doch. Eigentlich.

1. Juni 2017

Ich glaube an einen grausamen Gott,
der mich nach seinem Bilde erschuf,
und den ich im Zorn nenne!
Aus der Niedrigkeit eines Keims
oder Atoms bin ich in Niedrigkeit geboren!
Ich bin ein Bösewicht, weil ich ein Mensch bin,
und fühle den Schlamm meines Ursprungs in mir!
Ja! Das ist mein Glaube!
Ich glaube mit festem Herzen,
so wie die Witwe im Tempel,
dass ich das Böse, das ich denke,
das von mir ausgeht,
als mein Schicksal erfülle!
Ich glaube, dass der Gerechte ein höhnischer
Komödiant ist, im Antlitz wie im Herzen,
dass alles an ihm Lüge ist:
Tränen, Küsse, freundliche Blicke, Opfermut und Ehre!
Und ich glaube, dass der Mensch das Spielzeug
eines bösen Schicksals ist,
vom Keim in seiner Wiege
bis zum Wurm in seinem Grab.
Auf all diesen Spott folgt der Tod.
Und dann? Und dann?
Der Tod ist das Nichts!
Das Jenseits ist ein altes Märchen!
Verdi, Otello – “Credo” des Jago, 2. Akt

Eine der großartigsten Bösewicht-Szenen der Opernliteratur! Zorn, Spott, “La Morte è il Nulla” … In Shakespeares Macbeth, ebenso in Verdis Vertonung, finden wir am Ende einen ganz ähnlichen Monolog, in dem es heißt, das Leben sei “ein Märchen, erzählt von einem Narren, voller Klang und Wut, und es bedeutet nichts” … signifying nothing … Das geht schon sehr unter die Haut, wenn man es nur liest, geschweige denn hört und sieht, egal ob im Schauspielhaus oder in der Oper. Shakespeare und Verdi, da haben sich die zwei Richtigen gefunden! Dabei haben sie sich nicht mal persönlich gekannt. Oder etwa doch?

31. Mai 2017

31. Mai 2017

4-tägige Studienreise vom 23. – 26. November 2017
London, Royal Opera House
Donizetti, Lucia di Lammermoor

An- und Rückreise in einem modernen Fernreisebus****
(Fähre zur Überquerung des Kanals)
3 x Übernachtung/Frühstücksbuffet (Mittelklassehotel London City***)
Zimmer mit Bad oder Dusche/WC, Telefon, TV
1 x halbtägige Stadtführung London (Dauer ca. 3 Stunden)
1 x Eintrittskarte Kategorie 2 für die Aufführung
„Lucia di Lammermoor“ von Gaetano Donizetti (Freitag, 24.11.)
Einführungsabend in der Wetzlarer Musikschule am Dienstag, 21.11.2017 um 19.30 Uhr

Nähere Informationen zum Reiseverlauf, Hoteladresse, Kosten etc. ab Ende Juli.

30. Mai 2017

Der Tag beginnt mit einer guten Nachricht: Im August erscheint endlich der 1991 gedrehte Spielfilm Tous les matins du monde in deutsch synchronisierter Fassung mit dem Titel Die siebente Saite auf DVD. Das Meisterwerk (Regie Alain Corneau) zeigt das Wirken des Monsieur de Sainte Colombe (ca. 1640 – zwischen 1690 und 1700), eines berühmten Komponisten und Gambisten seiner Zeit. Sainte Colombe war u. a. Lehrer von Marin Marais, der später am französischen Hof eng mit Lully zusammen arbeitete und an allen großen Opern des Hofkapellmeisters beteiligt war. Sainte Colombe wird die Hinzufügung einer siebten Saite zur Bassgambe zugeschrieben; damit wurden die Möglichkeiten des Instrumentes hinsichtlich Tonumfang, Klang und Ausdruck erweitert.

Evrard Titon du Tillet schreibt über Marais’ Unterricht bei Sainte-Colombe: „Bekanntlich war Sainte-Colombe Marais’ Lehrer; doch als er nach sechs Monaten bemerkte, dass sein Schüler ihn übertreffen könnte, sagte er ihm, er könne ihm nichts mehr beibringen. Marais, der die Gambe leidenschaftlich liebte, wollte jedoch vom Wissen des Meisters weiterhin profitieren, um sich auf dem Instrument zu vervollkommnen; da er Zutritt zu seinem Haus hatte, nutzte er die Zeit im Sommer, wenn Sainte-Colombe in seinem Garten war und sich in einer kleinen Holzhütte einschloss, die er sich in den Ästen eines Maulbeerbaumes errichtet hatte, um dort ruhiger und angenehmer Gambe spielen zu können. Marais schlich sich unter diese Hütte; er hörte dort seinen Lehrer und profitierte von einigen besonderen Passagen und Bogenstrichen, die der Meister der Kunst gerne für sich behalten hätte.“  Diese Szene und viele andere zeigt Die siebente Saite in wunderbaren, berührenden und teilweise dramatischen Bildern. Zu sehen sind u. a. Anne Brochet (die sowieso immer hinreißend ist, aber hier besonders), Jean-Pierre Marielle und Gérard Depardieu. Die Musik zum Film spielte der katalanische Gambist und Dirigent Jordi Savall mit seinem Ensemble ein. Unbedingt kaufen, am besten jetzt vorbestellen!

29. Mai 2017

Es ist merkwürdig, wie die Gewohnheit unseren Geschmack und unsere Anschauungen beeinflussen kann.
Emily Brontë (1818 – 1848)

28. Mai 2017

28. Mai 2017

Ende letzten Jahres fragte Bundeskanzlerin Merkel öffentlich auf einem CDU-Parteitag in Mecklenburg-Vorpommern, wieviel christliche Weihnachtslieder wir denn noch kennen und wieviel wir unseren Kindern und Enkeln noch beibringen würden. „Dann muss man eben mal ein paar Liederzettel kopieren und einen, der noch Blockflöte spielen kann (…) mal bitten“, empfahl die Kanzlerin. Da war sie wieder, diese Gedankenlosigkeit bezüglich eines oftmals belächelten, wenn nicht gar diskreditierten Musikinstrumentes. Mit der Blockflöte kann man gerade noch so ein Weihnachtslied begleiten, lautet die Botschaft, dafür streichen wir dem Spieler anschließend wohlmeinend übers Haar. Wenn du mal groß bist, spielst du vielleicht Klarinette oder Posaune, dann aber auch was ernst Gemeintes, um nicht zu sagen was Seriöses. Klavier und Violine sind Ferrari und Mercedes, Blockflöte ist Trabi. Das sagen wir natürlich nicht laut, wir sind ja nicht verliebt oder betrunken.

Dieser Tage veröffentlicht ZEIT online ein Interview mit dem Generalintendanten der Elbphilharmonie Hamburg, Christoph Lieben-Seutter. Überschrieben ist der Artikel mit dem Satz “Wir könnten auch Blockflöte spielen”, und in der Folge lesen wir über die enorme Auslastung der neuen Kulturstätte, in der fast jede Veranstaltung ausverkauft ist. Egal, ob Herr Lieben-Seutter diesen Satz tatsächlich gesagt hat oder die Redaktion der ZEIT darauf verfallen ist – auch hier sind Unkenntnis und Ahnungslosigkeit bezüglich des Instrumentes und der seit Jahrhunderten dafür komponierten Literatur gleichermaßen groß wie erschreckend. “Wir könnten auch Blockflöte spielen” suggeriert erstens, dass die Blockflöte für Anspruchslosigkeit und Minderwertigkeit steht, und zweitens, dass selbst bei anspruchslosen und minderwertigen Programmen das gegenwärtig sehr große Interesse an Elbphilharmonie-Konzerten ungebrochen wäre. Das Instrument Blockflöte auf diese Weise herabzusetzen, disqualifiziert den, der so redet oder schreibt – von der Art der Wertschätzung, die man dem zahlenden Publikum mit besagtem Satz entgegen bringt, ganz zu schweigen. Blockflöte wird seit Jahrhunderten in allen Gesellschaftsschichten gespielt, der Schwierigkeitsgrad der Stücke reicht von leicht über anspruchsvoll bis hin zu technisch wie musikalisch extrem elaboriert und ausgesprochen schwer. Vielleicht sollte Herr Lieben-Seutter mal hochprofessionelle Blockflöten-Ensembles in seinen Kulturtempel einladen. Und die Kanzlerin gleich dazu.

26. Mai 2017

26. Mai 2017

Was das Ansehen einzelner Berufsgruppen in Deutschland angeht, so haben sich die Renommee-Werte in den letzten Jahren kaum verändert. Nach wie vor führen die Feuerwehrleute, gefolgt von Ärzten, Kranken-/Altenpflegern, Erziehern, Polizisten, Richtern und Piloten. Dachdecker, Soldaten, Lokführer, Pfarrer und Briefträger rangieren im Mittelfeld. Die letzten Plätze belegen Steuerbeamte, Bankangestellte, Manager, Politiker, Journalisten, Mitarbeiter von Telefongesellschaften und Werbeagenturen sowie Versicherungsvertreter.

Unter den Journalisten rangieren die Sportmoderatoren an letzter Stelle. Tatsächlich kommt das Verfolgen von Interviews bisweilen einer besonderen Art der Selbstkasteiung gleich. Auf Fragen wie “Wie wichtig war es heute, das Spiel zu gewinnen?” oder “Wie groß ist die Enttäuschung?” gibt es dennoch mehrere Möglichkeiten der Reaktion, von floskelhafter Analyse (“Wir sind nicht in die Zweikämpfe gekommen”) über Mutmaßungen (“Ich glaube nicht, dass der Verein mir Steine in den Vertrag legt”) bis hin zu philosophisch anmutenden Betrachtungen (“Wenn man kein Tor schießt, kann man nicht gewinnen” oder “Fußball ist wie Schach ohne Würfel”) und orakelähnlichen Prophezeiungen (“Die Bayern vertragen keine Härte, und ich bin der erste, der anfängt damit”). Fußballspieler und Trainer sind übrigens im Ranking der Berufsgruppen nicht erfasst.

25. Mai 2017

Zwei englische Obdachlose, die sich beim Anschlag von Manchester zum Zeitpunkt der Explosion in direkter Nähe aufgehalten hatten und Opfern zu Hilfe gekommen waren, erhalten jetzt selbst Unterstützung. Die Maßnahmen reichen von der Finanzierung einer Wohnung über Mithilfe bei der Arbeitssuche bis hin zu über das Internet organisierten Spendenaktionen. Auf zwei “Just Giving”-Seiten sind dabei bisher über 70.000 Pfund zusammen gekommen.

Die Wohnung wird für ein halbes Jahr vom Miteigentümer des Londoner Premier-League-Clubs West Ham United und dessen Sohn bezahlt. Wie wäre es, auch Bankdirektoren, Reeder und Immobilienmakler zur Hilfe zu ermuntern? Vielleicht sprängen noch ein paar Aktien, Yachten oder Zweitwohnungen heraus. Verleger und Intendanten könnten dazu noch ein paar Abonnements für Zeitschriften (mit Wohnungmarktteil, versteht sich) oder Theaterbesuche beisteuern. Nach Ablauf des halben Jahres, vulgo Probezeit, wäre zu überlegen, ob die gewährten benefitären Wohltaten auch vorleistungsungebunden erbracht werden können. So müssten die Leistungsempfänger nicht auf die nächste Katastrophe warten, um mit spontanen Erste-Hilfe-Leistungen weitere Ansprüche zu erwerben. Was ist übrigens mit Helfern, die seit längerem einen festen Wohnsitz haben und/oder in einem Beschäftigungsverhältnis stehen? Gibt’s da Boni, Upgrades, Beförderungen, Freikarten, Rabattmarken? Hat schon jemand Klage eingereicht?

24. Mai 2017

Wer aber das Lob liebt, der muss auch den Grund dazu erwerben.
Xenophon (430 – 354 v. Chr.), griechischer Schriftsteller und Politiker

23. Mai 2017

23. Mai 2017

Der griechische Philosoph Sokrates (469 – 399 v. Chr.) begegnete seinen Gesprächspartnern üblicherweise nicht mit fertigen Antworten, ebensowenig wollte er sie von bestimmten Thesen überzeugen. Sein Ziel war, den Anderen sozusagen zu einer Überprüfung seiner Gedanken anzuregen, um den eigenen Erkenntnisprozess in Gang zu bringen. Sokrates nannte dies Mäeutik, wörtlich “Hebammenkunst”, und verstand sich als eine Art Geburtshelfer, der “für die gebärenden Seelen Sorge trägt”, wie Platon es nennt. Der Geburtshelfer unterstützt den Erkenntnisprozess dabei nicht durch Belehrungen oder mit feststehenden Wahrheiten, sondern durch gemeinsames Suchen und hilfreiches Fragen.

Unsereins versteht sich zuweilen ebenfalls als Geburtshelfer, in den schönsten Momenten als musikalischer Erkenntnis- und Erlebnisbefähiger. Jeder hört anders, und “niemand erkennt, was er nicht selbst entdeckt”, wie Johannes Picht es formuliert. Manchmal ist es “eine schwere Geburt”, zugestanden, aber es lohnt sich.

22. Mai 2017

Im Opernkurs sind wir seit einigen Wochen bei Verdi angelangt. Wir hatten uns darauf verständigt, diesmal auf La Traviata, Rigoletto und Otello zu verzichten und stattdessen einige Opern zu besprechen, die entweder als weniger populär gelten oder für die meisten Teilnehmenden neue Hörerfahrungen mit sich bringen. Den Anfang machte vor ein paar Wochen Il trovatore, gefolgt von Un ballo in maschera, Macbeth und La forza del destino. Schließlich am letzten Mittwoch Falstaff – und große Verwunderung, ja vielleicht gar Enttäuschung über so wenig Kantables, nichts Dämonisches, kaum Verzweifeltes, ergo keine schmachtenden Arien oder Liebesduette. Stattdessen eine Komödie in gesellschaftlichem Dauerparlando und durchkomponiertem Stil, mit rezitativischem Gestus, mit Sonatensatzformen und Fugen.

“Es gilt zu studieren, und das wird Zeit kosten. Unsere Sänger können im allgemeinen nur mit großer Stimme singen. Sie haben weder stimmliche Elastizität noch klare und leichte Diktion, und es fehlen ihnen Akzente und Atem.“ Verdi schreibt diese Sätze 1892 an seinen Verleger Ricordi. Heute wissen wir, dass der fast achtzigjährige Verdi mit seiner letzten Oper eine Renaissance der musikalischen Komödie einleitete. Wer den Gefangenenchor aus Nabucco oder den Triumphmarsch aus Aida zu seinen Lieblingsstücken zählt, wird mit Falstaff seine Schwierigkeiten haben. Also: Es gilt zu studieren, und das wird Zeit kosten.

Pause bis zum 21. Mai 2017

12. Mai 2017

In unserem Filmmusik-Kurs stand letzte Woche zum wiederholten Male Der König tanzt (F/D/B 2000) auf dem Programm, als Beispiel für die Sparte “Musikhistorischer Film mit Originalmusik”. Der Film ist absolut sehenswert, gleichermaßen wegen der großartigen Darsteller und der von Musica Antiqua Köln eingespielten Musik, nicht minder wegen seiner verschwenderischen Ausstattung.

Gestern nun Friedemann Bach (D 1941), ein “schwacher Film, trotz Gründgens” (Heyne Filmlexikon). Es ist kaum möglich, dieses Urteil zu widerlegen – zu groß sind die historischen Ungenauigkeiten und fiktiven Handlungsstränge, zu sentimental und pathetisch die Dialoge. Gleichwohl ist Gustaf Gründgens in der Titelrolle beeindruckend, vor allem als leidenschaftlicher und nicht korrumpierbarer Streiter für eine eigene, neue und weiterentwickelte Musik: “Ihr wollt von mir, was der Vater konnte. Ich kann es nicht. Ich will es auch nicht können. Ich kann nicht seine Gedanken denken und ich will nicht seine Musik machen. Wisst ihr denn, was es heißt, der Sohn eines großen Vaters zu sein und es nie vergessen zu dürfen und dabei selber leben und schaffen zu wollen? Ich habe gekämpft, ich habe mit dem Ruf Johann Sebastian Bachs immer wieder gekämpft, aber jetzt will ich nicht mehr kämpfen, ich will nicht mehr Sohn sein, ich will Friedemann Bach sein und sonst nichts.“

Will Quadflieg hat einmal über Gustaf Gründgens gesagt, dieser sei ein Schauspieler, der „viel im Laden hat und es sich leisten kann, wenig im Schaufenster zu zeigen“. Gründgens zeigt in Friedemann Bach vor allem die inneren Prozesse der Trauer und Verzweiflung – auf so außergewöhnliche Weise, dass sich allein dafür das Anschauen lohnt.

10. Mai 2017

Wo etwas Angenehmes ist, muss auch Unangenehmes sein.
Titus Petronius (ca. 14 – 66), römischer Politiker und Schriftsteller

9. Mai 2017

9. Mai 2017

Vor ein paar Tagen lief in der ARD die Wiederholung der Tatort-Folge “Der tiefe Schlaf” (2012). Um es gleich vorwegzunehmen: Wer den Krimi (Folge 856) nicht kennt, sollte das unbedingt ändern (Mediathek, youtube)! Ich habe damals die Erstausstrahlung gesehen und konnte mich jetzt an einige Sequenzen gut erinnern, vor allem an die Entdeckung und Verfolgung des tatverdächtigen Räusperers, dessen Gesicht nie zu sehen ist. Ein packender und wirklich außergewöhnlicher Thrill!

Auch jetzt, gewissermaßen fünf Jahre nach dem Mord, wissen wir nicht, wer das junge Mädchen getötet hat. In der letzten Szene – Rückblende – steigt Carla nach anfänglichem Zögern in das Auto ihres Mörders. Das Auto ist ein anderes als das ihres Lehrers, also scheidet dieser als Täter aus. Das besagte Räuspern hat Gisbert, abgestellter und später ermordeter Kollege des Duos Batic/Leitmayr, zuvor aus einem Telefonat herausgefiltert, daher glauben alle – wir Zuschauer eingeschlossen – an einen sich räuspernden Täter. Der Mörder spricht in der Schlussszene jedoch alle seine Sätze ohne jedes Räuspern, also ist auch der Räusperer nicht der Täter. Der Autofahrer resp. der Mörder muss jemand sein, der nie zuvor in Erscheinung getreten ist. Einer, den weder wir noch die Kommissare jemals auf dem Schirm hatten. Am Ende bleibt der Täter bewusst anonym – eine unbekannte, männliche Person, von der wir nicht einmal das Gesicht kennen.

Holger Gertz schreibt in der Süddeutschen Zeitung: “Die Geschichte von Regisseur Alexander Adolph erzählt auf der tieferen Ebene davon, was passiert, wenn man einander nicht zuhört, nicht hilft, nicht versteht. “Der tiefe Schlaf” ist der angemessen ausdeutbare Titel dieser Episode. Die Eltern holen ihre Tochter nicht ab. Der Lehrer lässt seine Schülerin nachts auf der Straße stehen. Die Klassenkameraden verstecken einen Schuh ihrer Mitschülerin, deshalb verpasst sie den Bus. Und zwei Kommissare behandeln ihren Assistenten von oben herab, wie Münchner das gelegentlich mit “Zuagroastn” tun. Sie lassen ihn allein. Am Ende sind alle allein, und jeder ist schuldig.”

8. Mai 2017

8. Mai 2017

Im Montagskurs geht es heute um den Einstieg in das Werk von Gustav Mahler. In den vergangenen Jahren waren immer die erste, dritte und fünfte Sinfonie sozusagen Pflichtstücke, dazu Ausschnitte aus der achten Sinfonie und dem “Lied von der Erde”. Diesmal wird es mit der zweiten Sinfonie einen veränderten Einstieg geben, auch werden die sechste und siebte Sinfonie mehr in den Fokus rücken, leztere vor allem wegen der zwei Nachtmusiken. Warnung! Keine serenadenhafte Lunar-Idylle! No chocolate! Vergessen wir Mozart und Chopin! Fratzenhafte, verstörende Albträume eines Vereinsamten erklingen hier, die Grundierung ist dunkel, abgründig und geheimnisvoll. Mahler hatte während der Komposition seiner 7. Sinfonie mit Schreibblockaden und Störungen seiner Kreativität zu kämpfen, er hat sich sehr schwer getan mit dieser Musik. Es macht also nichts, wenn es uns genauso gehen sollte.

6. Mai 2017

Gebackene Kartoffelscheiben (ganz einfach)

Kartoffeln schälen, in dünne Scheiben schneiden. Eine feuerfeste Form gut einfetten, die Kartoffelscheiben hineingeben und salzen. Im Backofen bei ca. 200° backen, bis die Scheiben leicht zu bräunen beginnen. Form aus dem Ofen nehmen und frisch gestoßenen schwarzen Pfeffer (am besten Voatsiperifery) zu den Kartoffeln geben. Mit Zitronen-Olivenöl beträufeln. Dazu passt Fisch, Geflügel, Gemüse, Salat – ganz nach Belieben – und eine Flasche Edelzwicker.

4. Mai 2017

In der aktuellen Ausgabe der nmz bespricht Christoph Vratz zwei Biografien über Claudio Monteverdi, die zu dessen 450. Geburtstag neu erschienen sind. Im Abschnitt über das Buch von Michael Heinemann findet sich folgende Passage: “So steht Monteverdi am Ende da als jemand, der, anders als Bach, seine Welt nicht nach Zahlen und Proportionen entworfen hat, sondern der seine menschlichen Erfahrungen, seine Leidenschaften in allen Extremen in eine unmittelbare musikalische Sprache übersetzt hat, eine Sprache, die auf der Einheit von Text und Musik beruht und unmittelbar auf den Hörer wirkt, heute wie damals.”

Es ist nicht ganz klar, ob der Rezensent den formulierten Unterschied zwischen Monteverdi und Bach als Ansicht des Buchautors ausgibt oder als seine eigene. Wie auch immer, es gehört nicht viel Fantasie dazu, sich den empörten Aufschrei der Bach-Gemeinde vorzustellen. Zahlen und Proportionen als Grundlage der Musik statt menschlicher Erfahrungen und Leidenschaften? Und keine Einheit von Text und Musik? Sofort denkt man an die Passionen, Kantaten, Motetten etc. und kann nicht glauben, dass das ernst gemeint sein soll. Doch gemach, gemach! Die Aufregung ist ganz unnötig. Bach war im Kirchendienst tätig, von ihm wurden keine Kompositionen von Opern, Balletten und Madrigalen verlangt. Es ist müßig, darüber zu spekulieren, wie er sich einer solchen Aufgabe gestellt hätte. Der oben zitierte Satz unterstreicht die herausragende Stellung der Musikdramen Monteverdis, nicht mehr und nicht weniger. Missverstehen kann jeder, vor allem mit Absicht.

3. Mai 2017

Zwar muss man feststellen, dass die Oper nicht mehr dieselbe Rolle hat wie im 19. Jahrhundert. Die populärste Unterhaltungsform ist heute das Kino. Dass Oper aber eine elitäre, veraltete oder jedenfalls für alte Menschen gemachte Kunst ist, halte ich weniger für die Wahrheit als ein Klischee. Und die Karten sind auch nicht unbedingt teurer als für ein Popkonzert oder Fußballspiel! Manchmal höre ich: “Die Oper ist nichts für mich, damit kenne ich mich nicht aus.” Aber absolviert man denn eine Filmschulung, bevor man ins Kino geht?
Mariame Clément

1. Mai 2017

1. Mai 2017

L’amour existe.
L’amour est vivant.
Sous toutes ses formes.

Diese Sätze gehen dem Interview mit Mariame Clément voran, das die Opèra natonal du Rhin im Programmheft zu La Calisto veröffentlicht hat. Die Aufführung eines der prominentesten Werke von Franceso Cavalli lässt keinen Zweifel an dieser unmissverständlichen Botschaft aufkommen. Mariame Clément inszeniert das Stück mit dem Mute der Verwegenen – göttlich, menschlich, allegoresk, faunesk, imaginär, real. Schon das erste Bild zwingt dazu, uns beim eigenen Zuschauen zu beobachten, und dieser Spiegel im Spiegel zieht sich konsequent durch das ganze Stück. Wer spielt hier mit wem, wer dressiert wen, wer verschiebt wessen Maßstäbe? Die Musik liefert dafür hinreißende Vorlagen, und Christophe Rousset am Pult wie am Cembalo sorgt für ein klangliches Pendant auf Augenhöhe. Das Ensemble ist sängerisch nicht in jeder Rolle gleichwertig besetzt, was man beim Hören der Gesangskünste insbesondere von Elena Tsallagova, Filippo Mineccia und Guy de Mey schnell vergisst. Les Talens Lyriques, ein Ensemble von zwölf Instrumentalisten, spielt gleichermaßen sensibel wie musikantisch. So vergehen drei Stunden inklusive Pause fast wie im Fluge. Der Star der Produktion ist Cavalli, ihm assistieren zahlreiche Könner auf, neben, hinter und unter der Bühne.

Abends sitze ich im Saint Sépulcre (Zum hailiche Graab), einem Restaurant mit typisch elsässischer Küche, im Herzen Straßburgs, ganz in der Nähe der Kathedrale. Ich bestelle gekochte Rippchen mit karamellisierter Koriandersauce, dazu Bratkartoffeln und ein Bier. Das Essen ist vorzüglich, die Bedienung attraktiv und freundlich, also bleibe ich und gönne mir noch ein Bier, dann Calvados, schließlich Kaffee. Am Nebentisch sitzen mittlerweile zwei junge Frauen, vielleicht Studentinnen. Sie essen in Teig gebackenen Schinken, dazu Salat und leeren eine Flasche Pinot Noir. Sie genießen den Abend, das merkt man ihnen an, und sie wissen offensichtlich, wo und wie man gut isst und trinkt. Vielleicht wird ja doch noch alles gut, denke ich, und dass die Liebe lebt. In all ihren Formen.

29. April 2017

Nur sehr wenige Dinge ereignen sich zur rechten Zeit, und alles Übrige ereignet sich überhaupt nicht.
Herodot (um 485 – um 425 v. Chr.)

26. April 2017

26. April 2017

Was waren das für Zeiten, als es noch den Bezahlfernsehsender Premiere gab und wir bei Fußballübertragungen den Kommentator abstellen konnten, dabei aber auf die Geräuschkulisse im Stadion nicht verzichten mussten! Heute – der Sender heißt seit 2009 Sky Deutschland – geht das leider nicht mehr. Entweder müssen wir zumeist unsägliche Reporter, Co-Kommentatoren und Experten ertragen, wenn wir die Live-Atmosphäre mit Fangesängen, Pfeifkonzerten etc. miterleben wollen, oder wir verzichten auf Schwätzer, Langweiler und Sprachbehinderte, müssen aber dafür das Spektakel in meditativer Stille verfolgen. Bitte, liebe Sky-Leute, aber auch ihr Entscheider in ARD und ZDF, habt ein Einsehen und gebt uns diesen Kommentator-Off-Schalter wieder! Ihr würdet viele neue Freunde, für Sky vielleicht gar Abonnenten gewinnen! Schon im Voraus zitieren wir Andreas Brehme und sagen “nur ein Wort: Vielen Dank!”

25. April 2017

Gestern acht (!) Punkte beim Wissenstest des Tages auf ZEIT online, heute fünf. Dass es David Bowie war, dem Iggy Pop seinen Berliner Kühlschrank geplündert hat, habe ich geraten. Manchmal punktet man ganz unvermutet …

24. April 2017

Das Literarische Quartett, die von 1988 bis 2001 ausgestrahlte Kult(ur)sendung im ZDF mit Marcel Reich-Ranicki, Hellmuth Karasek, Sigrid Löffler und einem jeweils wechselnden Gastkritiker, hatte eine einprägsame Titelmelodie: Das Finale des Streichquartetts Nr. 9 C-Dur op. 59,3 von Ludwig van Beethoven. Das Quartett wurde 1806 geschrieben und ist das dritte und letzte Streichquartett in der Gruppe der sogenannten “Rasumowsky”-Quartette, die nach ihrem Auftraggeber, Andrej Kirillowitsch Rasumowsky benannt sind, einem russischen Diplomaten und Förderer Beethovens. Die Rasumowsky-Quartette sind Meilensteine klassischer Kammermusik – wir besprechen das dritte Quartett im Kurs und erinnern uns nach dem Verklingen des Schlussakkords passenderweise an Reich-Ranickis abgewandeltes Brecht-Zitat: “Und so sehen wir betroffen / Den Vorhang zu und alle Fragen offen.”

21. April 2017

21. April 2017

In diesen Tagen kommt der Kuckuck aus Afrika zurück. Auf seinem Weg zurück in sein Brutgebiet erreicht er Südeuropa bereits im März, den Norden Skandinaviens erst im Juli. Deutschland kann zwischen Mitte April und Anfang Mai mit der Wiederkehr des Vogels rechnen, was immer auch ein wenig von den Temperaturen abhängt. Wenn wir in diesen Tagen den berühmten Kuckucksruf hören, sollten wir uns vergegenwärtigen, dass der Kuckuck auch andere Intervalle außer der kleinen Terz intoniert. Von der Sekunde bis zur Quinte ist alles möglich, was uns im Grunde eine größere Flexibilität im Singen von “Der Kuckuck und der Esel” oder “Kuckuck ruft’s aus dem Wald” abverlangen sollte, aber lassen wir das. Hören wir jedenfalls einen Vogel mit kleiner Sekunde oder reiner Quarte zwitschern, können wir nie ganz sicher sein – Mönchsgrasmücke, Teichrohrsänger, Wintergoldhähnchen? Wer singt denn da, zum Kuckuck … Genau!

19. April 2017

Das Leben ist hier, das Spielen von Rollen dort. Das ist komplett getrennt. Schauspielerei ist für mich ein spezieller Geisteszustand zwischen bewusst und unbewusst – ein wenig so, als ob man betrunken wäre. Aber wenn es dann vorbei ist, ist es vorbei. Es beschäftigt mich nicht mehr, es verfolgt mich nicht. Ich habe nichts zu tun mit diesen Leuten, die ich spiele.
Isabelle Huppert (* 1953), französische Film- und Theaterschauspielerin

18. April 2017

18. April 2017

“Je dämonischer gespielt wurde, umso zufriedener war er”, berichtet August Stradal, Pianist und Schüler Franz Liszts über dessen Klavierunterricht. Zwei Dinge hatten für den Meister ganz besondere Bedeutung: Zum einen das Singen, das “Cantabile auf dem Klavier”, zum anderen die individuelle Wiedergabe des Werkes. Eugène d’Albert, ebenfalls prominenter Schüler Liszts, erinnert sich: “Was kümmert ihn die Genauigkeit des Vortrags, wenn nur Leben darin steckt! Weg mit der pedantischen Schulmeisterei!” Besonders verhasst war Liszt die “anständige Mittelmäßigkeit” – nicht wenige seiner Schüler schickte er aufs Konservatorium und unterrichtete sie nicht länger selbst. Einige haben seinen galligen Satz, wonach man seine Schmutzwäsche zu Hause reinigen sollte, in bitterer Erinnerung behalten. Doch der kapriziöse Maestro konnte auch humorvoll und großzügig sein. Mit einigen seiner Schüler unternahm er gemeinsame Ausflüge und spielte leidenschaftlich gern Whist, verlor dabei aber nur ungern. Seine Schüler dachten an die nächste Klavierstunde, tauschten daher unter dem Tisch ihre Karten und ließen den Meister gewinnen.

16. April 2017

Am Ende ist uns wohler, wenn wir nicht soviel von der Welt wollen und das, was sie uns freiwillig gibt, als gelegentlichen Fund betrachten.
Gottfried Keller (1819 – 1890), Schweizer Dichter und Romanautor

In der Tat liegt in zu großen Erwartungen häufig die Hauptursache für Enttäuschungen, Konflikte oder Verzweiflungen. Wir malen uns aus, wie etwas eintreten oder sich entwickeln soll und wie Menschen, mit denen wir zu tun haben, handeln oder reagieren werden. Insbesondere wenn wir Anerkennung, Freude oder Dankbarkeit erwarten, sind wir nicht selten enttäuscht, wenn die Realität mit unseren Erwartungen nicht übereinstimmt. Dann hadern wir nicht mit uns selbst, sondern mit anderen und bereiten damit den Boden für weitergehende Auseinandersetzungen. Im Falle der Erwartung von schlechten Entwicklungen, Desastern oder Katastrophen ist uns dagegen nur ein schwacher Trost, dass etwa 70% der negativen Dinge, die wir uns vorstellen, nicht eintreten. Zweckpessimismus malt ja häufig das Kommende in düsteren Farben, um die Fallhöhe zum wirklich Eintretenden künstlich zu vergrößern. Wollen wir den Griff in die Kiste mit der Aufschrift “Psychotricks zur Selbstanwendung” vermeiden, hilft vielleicht der Satz von Peter E. Schumacher: “Erwartungshaltung sollte aus einem Prozent Erwartung und neunundneunzig Prozent Haltung bestehen.”

15. April 2017

15. April 2017

Goethe war’s. Herzlichen Dank fürs Mitmachen!

Allen Leserinnen und Lesern ein frohes Osterfest!

13. April 2017

“Wenn ich den Mops meiner Geliebten zum Verwechseln ähnlich abzeichne, habe ich zwei Möpse, aber noch lange kein Kunstwerk.” Wer hat’s gesagt?

Goethe
Toulouse-Lautrec
Caruso
Loriot

Auflösung am Samstag, 15. April. Teilnahme nur per E-Mail.

12. April 2017

12. April 2017

Um die Nymphe Calisto für sich zu gewinnen, ist Jupiter jedes Mittel recht. Er geht sogar so weit, sich als Frau zu verkleiden – der Ausgangspunkt für zahlreiche Irrungen und Wirrungen. Welches Mittel wird Jupiters Frau Juno finden, um sich für die Untreue ihres Mannes zu rächen?

Mit diesem Kurztext wirbt die Opéra national du Rhin Strasbourg für ihre Neuinszenierung von Francesco Cavallis La Calisto. Regisseurin Mariame Clément wird – davon ist auszugehen – für zeitgemäße Fragestellungen und Pointierungen sorgen, nicht ohne ironische Transfers und entsprechende Demaskierungen. Das Publikum darf sich auf Gesangsgrößen wie Vivica Genaux und Guy de Mey freuen, ebenso auf den Barockspezialisten Christophe Rousset, der das von ihm gegründete Ensemble Les Talens Lyriques dirigiert. Am Sonntag, 30.04. um 15.00 Uhr bin ich auch dabei, leider nur im Parkett.

11. April 2017

Wer all seine Ziele erreicht, hat sie zu niedrig gewählt.
Herbert von Karajan (1908 – 1989)

10. April 2017

Veronika Mandl ist eine renommierte österreichische Musik- und Konzertpädagogin. Sie ist seit Jahren auf dem Gebiet der Entwicklung von musikdidaktischen Konzepten und Konzertformaten tätig und bietet unterschiedliche Programme für ein “junges Publikum ab drei Jahren” an, und das mit bestem Erfolg. “Kürzlich war eine Oma da,” erzählt sie, “die meinte: Heute sind die Enkel leider krank, da bin ich allein gekommen. Das ist für mich das schönste Kompliment!” Mandls Credo ist, dass Erwachsene die Aufgabe haben, die eigene Faszination zu leben. “Wenn ich für Musik brenne, dann bin ich imstande, dieses Feuer auch bei anderen zu entfachen und weiterzugeben.” Ganz recht, und zwar an junge Leute, Alter egal.

9. April 2017

Der erwähnte Dialog zwischen Ulisse und Eumete besteht im Original aus sechzehn im 6/4-Takt geschriebenen Takten, wobei die ersten zehn ein absteigendes Ostinato enthalten (g-fis-e-d) und anschließend in eine kadenzierende Schlussformel übergehen. Über diese wunderbare, sanfte Musik, die mich in Dijon sehr gefangen genommen hat, habe ich heute in der Kirche improvisiert. Am Schluss, wenn gemeinhin ein “Rausschmeißer” erwartet wird, wirkt diese introvertierte und beinahe entrückte Musik umso mehr. Und siehe da, sie hat ihre Wirkung auch diesmal nicht verfehlt! Am Schluss, nach der Wiederholung der Schlusskadenz im piano, war in der Stille sogar ein Seufzer zu hören. Und das am Palmsonntag, an dem des umjubelten Einzugs Jesu Christi in Jerusalem gedacht wird! Aber da ist sie, die Sehnsucht nach leisen, behutsamen Tönen, nach Besinnung und Recreation. Erklingt eine solche Musik, spüren wir, wonach wir so lange gesucht haben. Es ist, als kämen wir nach langer emotionaler Odyssee wieder nach Hause.

7. April 2017

Man muss mit den Instrumenten und Stimmen, durch ihre Schwingungen erregt, gleichsam selbsttönend mitschwingen, um wahrhaft musikalische Eindrücke zu erhalten.
Hector Berlioz (1803 – 1869)

Selbsttönend mitschwingen, das klingt gut. Entscheidend für musikalische Erlebnisse der besonderen Art ist immer, was gespielt wird, wie gespielt wird und wer spielt. Und bei aller Bewunderung für herausragende Interpreten und exquisite Darbietungen vergessen wir die Komponisten nicht! Der Schweizer Dirigent Karl Anton Rickenbacher (1940 – 2014) meinte sinngemäß, es sei erstaunlich, dass die Werke Mozarts, Schuberts oder Brahms’ immer noch leben, wo doch jeden Tag vielfach auf sie eingedroschen wird. Umso schöner, so ergänzen wir gerne, dass die Untoten mit Hilfe kongenialer Übersetzer (nicht Nachlassverwalter) immer wieder eindrucksvoll zu Wort bzw. Ton kommen und dabei zeigen können, was in ihnen und in uns steckt. Letzteres geschieht zwar nur selten, aber es geschieht. Dann erhalten wir die besagten “wahrhaft musikalischen Eindrücke” und begegnen gleichzeitig uns selbst.

5. April 2017

5. April 2017

Zurück aus Dijon. Eine schöne Stadt, gutes Wetter, hervorragendes Essen. Doch das alles spielt nur eine untergeordnete Rolle. Ich habe Monteverdis “Il ritorno d’Ulisse in patria” erlebt, oder um es auf französisch zu sagen, ” Le retour d’Ulysse dans sa patrie”. Der Schlussakkord liegt keine drei Tage zurück, und noch immer klingt diese Musik nach. Genauer gesagt, die Musik und die Art und Weise, auf die sie gespielt, gefeiert und zelebriert wurde. Ich weiß nicht, ob ich im Theater überhaupt schon mal etwas derart Beglückendes erlebt habe.

Natürlich sind die Hauptrollen mit Rolando Villazón (Ulisse) und Magdalena Kožená (Penelope) spektakulär und erlesen besetzt, doch auch die Nebenrollen werden von ausdrucksstarken Sängerinnen und Sängern gestaltet, insbesondere von Anne-Catherine Gillet (Minerva) und Callum Thorpe (Antinoo). Mariame Cléments Inszenierung ist fantasievoll, originell, zuweilen ironisch und schreckt vor etlichen Stilbrüchen nicht zurück, was keine Überraschung ist. Ulisses Verwunderung über den aufgestellten Cola-Automaten findet jedenfalls im Publikum Verständnis. Das ist ein grandioses, doppelbödig-geistreiches Spiel mit verschiedenen Ebenen der Erwartung – wunderbar!

Emmanuelle Haïm leitet die Aufführung wie immer, wenn sie musiziert – hochsensibel, extrem spielfreudig und vor allem mit einer atemberaubenden Ausgestaltung musikalischer Spannungsverläufe. Das Duett zwischen Ulisse und dem Hirten Eumete klingt beinahe romantisch und rührt affektiv zu Tränen, die Lamenti Penelopes sind geprägt von einem verschwenderischen Umgang mit Tempo und Dynamik, die tänzerischen Instrumentalsätze sind launig, couragiert und klingen einfach unwiderstehlich. Die Akteure auf der Bühne, von spanisch anmutenden Rhythmen inspiriert, versprühen eine Art der Lebensfreude, die man als Zuschauer nur ungläubig bestaunt. Fast vier Stunden dauert dieser Rausch, und er verflüchtigt sich glücklicherweise nur langsam.

31. März 2017

Morgen geht es für drei Tage nach Dijon, wo ich am Sonntag in der Oper Monteverdis Il ritorno d’Ulisse in patria sehen werde. Die Vorfreude ist in Erwartung von Rolando Villazón (Ulisse), Magdalena Kožená (Penelope) und Emmanuelle Haïm (Musikalische Leitung) sehr groß. Ich habe das Stück vor vielen Jahren ein paar Mal auf der Bühne gesehen, damals im Musiktheater im Revier Gelsenkirchen. Die Oper wurde in der Einrichtung von Siegfried Matthus gespielt, in deutscher Sprache und mit ausgesetzten, von Streichern begleiteten Rezitativen. Ich weiß noch, dass Neptun in einer Szene mit seinem Dreizack aus dem Orchestergraben stieg, mit wirrem, bläulichem Haar, den Körper übersät mit Algen und Seetang, und seinen imponierenden Bass erklingen ließ, was mich schwer beeindruckt hat. Die Aufführung in Dijon dürfte sehr anders ausfallen – mit allen Erkenntnissen historischer Aufführungspraxis, im italienischen Original und zweifellos mit einigen Überraschungen der französischen Opernregisseurin Mariame Clément.

29. März 2017

29. März 2017

Unzählige alte, ausgetretene und brüchige Stufen. Wohin führen sie? Was wartet am Ende der Treppe, die hinaufzusteigen vielleicht mühsam ist? Eine schöne Aussicht, ein Forum, ein Palast? Oder nichts davon? Was stattdessen? Stellen wir nicht so viele Fragen, gehen wir einfach los …

28. März 2017

28. März 2017

Apropos Charles Laughton: Im Frühjahr 1944 traf der britische Schauspieler in Kalifornien auf Bertolt Brecht und Hanns Eisler. Laughton war gerade im Begriff, für die Plattenfirma Decca Texte aus der Bibel aufzunehmen (“The Story Of The Three Wise Men” und “The Oldest Christmas Story”) sowie das Weihnachtskapitel aus Charles Dickens’ Roman “The Pickwick Papers”. Hanns Eisler machte den Vorschlag, dazu Begleitmusiken in Quintett-Besetzung zu schreiben, womit Laughton sofort einverstanden war. Die Schellack-Aufnahmen erfolgten im September 1944 im Decca-Studio Hollywood. Sie sind jetzt als Doppel-CD mit 116-seitigem (!) Booklet und einer Gesamtspielzeit von 128 Minuten wieder erhältlich (Bear Family Records).

27. März 2017

Matty Malneck (1904 – 1981) ist hierzulande nur wenigen Kennern der Filmmusik ein Begriff. Malneck war ein US-amerikanischer Jazzmusiker, der auch arrangierte und Filmmusiken komponierte, darunter die zu Witness for the Prosecution (Zeugin der Anklage, USA 1957) und Some Like It Hot (Manche mögen’s heiß, USA 1959). Eine gewisse Tragik liegt in dem Umstand, dass zwar die Filme weltberühmt wurden, die Musik von Malneck jedoch nicht – die von Marilyn Monroe gesungenen Lieder I Wanna Be Loved by You, Running Wild und I’m Through with Love sind populäre Songs der 20er Jahre und wurden nicht von Malneck komponiert.

Gestern Abend bin ich – ich weiß nicht zum wievielten Mal – bei Zeugin der Anklage hängen geblieben. Dafür gibt es viele Argumente wie natürlich Charles Laughton, Tyrone Power und Marlene Dietrich inklusive der Synchronstimmen von Eduard Wandrey, Paul Klinger und Tilly Lauenstein. Die Vorlage von Agatha Christie sowie Drehbuch und Regie von Billy Wilder sind weitere beste Gründe, den Film zum x-ten Mal zu sehen. Doch die Musik gehört nicht dazu, wenngleich sie genreüblich konveniert und im Wortsinne passende Takte liefert. Allein diese bleiben eben nicht haften, wir können sie nicht jederzeit aus dem Gedächtnis abrufen. Hingegen sprechen wir einzelne Sätze und Dialoge der genannten Akteure auswendig und mühelos nach, beinahe im Schlaf. Willste mir ‘n Kuss geben, Dicker?

24. März 2017

24. März 2017

Misstraue der Begeisterung des immer Begeisterten. Er braucht sie als Kollektiv seiner Gleichgewichtsstörungen. Der Kreisel muss sich drehen, wenn er nicht umfallen will.
Alfred Polgar (1873 – 1955)

23. März 2017

Laut einer aktuellen Studie, veröffentlicht von der Association for Psychological Science, hält sich ein Gefühlshoch nach gutem Sex bis zu 48 Stunden. Danach erlischt das sogenannte sexuelle Nachglühen. Paaren wird deshalb empfohlen, alle 48 Stunden Sex zu haben, um in den Genuss eines frischen Glühens zu kommen. Alternative Wege zu überschwänglichen Gefühlen über die Wahrnehmung kultureller Angebote (Theater, Museen, Restaurants etc.) beschreibt die Studie nicht. Möglichkeiten der Kombination wie z. B. Sex im Kino werden gleichfalls nicht erwähnt, auch Sport ist kein Thema. Gleichwohl ist der Rat zum 48 Stunden-Rhythmus einigermaßen entlastend, denn ab einem gewissen Alter lässt man doch schon mal einen Tag aus.

22. März 2017

22. März 2017

Nach dem am Montag in New York veröffentlichten Weltglücksbericht 2017 nimmt Norwegen nunmehr die Spitzenposition ein und hat Dänemark damit als glücklichstes Land der Welt abgelöst. Auf den Plätzen drei und vier folgen Island und die Schweiz. Deutschland kommt wie im vergangenen Jahr auf Platz 16, nahm aber 2015 noch Rang 26 ein. Schlusslicht der Glückstabelle ist die Zentralafrikanische Republik.

Als Hauptursache für Glück macht der Bericht nicht pekuniären Reichtum, sondern ein funktionierendes soziales Netz aus. Die Spitzenreiter des Rankings – darunter Finnland, Schweden, die Niederlande, Kanada, Australien und Neuseeland – haben dem Bericht zufolge hohe Zufriedenheitswerte in den Bereichen soziale Fürsorge, Gesundheit, Freiheit und gute Regierungsführung.

Geld allein macht nicht glücklich, heißt es. Richtig! Und schönes Wetter ist überbewertet. Vielleicht sind die Menschen in Haugesund ja am glücklichsten. Bei ihnen im Hafen sitzt Marilyn Monroe. Tagtäglich, zum Glück.

20. März 2017

Arnold Schönberg lebte bereits in Los Angeles, als er sich 1937 des Klavierquartetts g-Moll op. 25 von Johannes Brahms annahm und aus der originalen Vorlage eine fulminante Orchesterfassung in schillernden, bunten Farben entstehen ließ. Vielleicht war Schönberg, von den Nazis vertrieben, seiner Heimat Österreich in jenen Tagen emotional besonders nah, so dass aus dem kammermusikalischen Original ein so pulsierendes, wuchtiges und klangverliebtes Orchesterwerk werden konnte.

Natürlich entsteht bei einem so gewichtigen Eingriff in die Besetzung resp. der Klangfarbe ein neues, anderes Stück, das freilich seine Herkunft nicht verleugnet. Morgen werden wir uns im Kammermusik-Kurs beide Fassungen “erhören” und miteinander vergleichen. Wer Lust hat, kann anschließend im Filmmusik-Seminar dann “Die Verlobung des Monsieur Hire” bewundern. Regisseur Patrice Leconte hat für seinen wunderbaren, ästhetischen Film von 1989 den Mittelteil des Brahms’schen Finalsatzes (Rondo alla Zingarese) gewählt, um die subjektive Erlebniswelt des Titelhelden musikalisch zu kennzeichnen. Drei Meisterwerke – Kammermusik, Orchesterwerk, Spielfilm!

19. März 2017

Wie es mit der Musik dort steht, wo Sie sich jetzt befinden, ahne ich nur in Umrissen. Ich habe die Vermutung, die ich in dieser Hinsicht hege, einmal auf die Formel gebracht: ich sei nicht schlechthin sicher, ob die Engel, wenn sie im Lobe Gottes begriffen sind, gerade Bach spielen – ich sei aber sicher, dass sie, wenn sie unter sich sind, Mozart spielen und dass ihnen dann doch auch der liebe Gott besonders gerne zuhört.
Karl Barth (1886 – 1968, evangelisch-reformierter Theologe) in seinem “Dankbrief an Mozart” 

17. März 2017

17. März 2017

Glückwunsch, Knappen! Und weiterhin viel Erfolg in der Europa-League! Vielleicht klappt es ja zwanzig Jahre nach dem überraschenden Gewinn des UEFA-Cups wieder mit dem großen Coup. Spiegel Online liegt ganz richtig: “Zwar ist weiterhin schwer vorstellbar, dass ein Team mit derart deutlichen fußballerischen Schwächen tatsächlich einen Europapokal gewinnt. Aber das war auch vor 20 Jahren so.”

16. März 2017

16. März 2017

Breathe. And give yourself some credit.
Erin Andrews

15. März 2017

Für die Salzburger Festspiele 1989 hatten Herbert von Karajan und der britische Regisseur John Schlesinger (Die Herrin von Thornhill, Der Marathon-Mann, … und der Himmel steht still u. a.) ein gemeinsames Konzept für die Inszenierung von Verdis Maskenball entwickelt. Die Besonderheit bestand darin, dass die Oper in Verdis ursprünglicher, aber von der Zensur verhinderten Fassung gespielt werden sollte, nämlich am Hofe des schwedischen Königs Gustav III. in Stockholm. Nach dem Tode Karajans am 16. Juli in Salzburg – die Bühnenproben für die Eröffnungspremiere hatten bereits begonnen – übernahm Sir Georg Solti die musikalische Leitung.

Der Wiener Kurier nannte die Produktion damals ein “Opernfest für die Nachwelt” und war der Ansicht, die Zeit prächtiger Kostüme und opulenter Szenerien sei vorüber. Altmodische und konventionelle Inszenierungen, so war man überzeugt, würden einem anstehenden und unaufhaltsamen Zeitgeistwandel zum Opfer fallen. Heute wird die Inszenierung vor allem dafür gelobt, dass sie alle Ingredienzien in sich vereint, welche die Faszination Musiktheater ausmachen. Das ist das Entscheidende, notabene: Ob wir angesprochen, gefesselt, berührt werden. Ob Kopf und Herz, Verstand und Gemüt inspiriert und bereichert werden. Dazu gibt es viele Wege – den von 1989 sehen wir heute Abend im Kurs.

14. März 2017

14. März 2017

Die Sinfonie Nr. 3 c-Moll op. 78 “Orgelsinfonie” von Camille Saint-Saëns ist ein imposantes, eindrucksvolles Werk. Vor allem der Finalsatz, eingeleitet durch ein wuchtiges Maestoso und eine “klassische” sechzehntaktige und melodisch eingängige Periode, verfehlt seine Wirkung nicht. Gestern Abend nun, in unserer Kurswanderung durch die Musikgeschichte, haben wir zunächst diesen Sinfoniesatz gehört, um anschließend den 1978 erschienenen Song “If I Had Words” von Scott Fitzgerald und Yvonne Keeley auf uns wirken zu lassen.

“If I Had Words” benutzt das o. g. Hauptthema und unterlegt es mit einem Reggae-Beat. Der gesamte Song besteht ausschließlich aus den genannten sechzehn Takten, die über dreieinhalb Minuten lang ständig wiederholt werden. Text und Arrangement sind von Jonathan Hodge. Der Song kam in Großbritannien auf Platz 3 der Charts und war außerdem ein Hit in Irland, Belgien, den Niederlanden, in Skandinavien, in Australien und Neuseeland. Insgesamt wurden weltweit über eine Million Platten verkauft.

Es ist nicht weiter erstaunlich, dass sich sechzehn mehr oder weniger gleichbleibende Takte mit unterlegtem Reggae-Beat besser verkaufen als das sinfonische Original. Saint-Saëns galt zu Lebzeiten als ein eher konservativer, altmodischer Komponist. Vielleicht hätte er sich über die unerwartete Popularität fast sechzig Jahre nach seinem Tod trotzdem gefreut.

12. März 2017

Das Stadttheater Gießen spielt zurzeit Der Barbier von Bagdad von Peter Cornelius. Musik und Text bleiben unangetastet, doch die gesamte Handlung ist in ein surreales Tierreich verlegt. Der verliebte Nureddin ist eine Hummel, Gehilfin Bostana ist ein Maulwurf, der Barbier ist eine Schildkröte. Von ein paar anderen Figuren weiß man nicht so recht, was sie sind. Über die Inszenierung (Roman Hovenbitzer) verliert das Opernheft kein Wort. Die Handlung wird darin wie in jedem konventionellen Opernführer wiedergegeben, so als ob tatsächlich Der Barbier von Bagdad zur Aufführung käme.

Doch die Gießener machen aus einer liebenswerten Komödie eine absurd-clowneske Posse, die keinen nachvollziehbaren Transfer des Originals erkennen lässt. Schlüsselszenen der ursprünglichen Handlung werden bagatellisiert oder bleiben unsichtbar, das Beziehungsgeflecht der handelnden Personen (jetzt Tiere) wird kaum wiedergegeben. Das bunte Bühnenbild und die schrillen Kostüme geben der imaginären Wald- und Wiesenfauna sämtliche Alibis, die sie für ihre Aktionen benötigt, welche zumeist willkürlich und beliebig kreiert werden. Was das Publikum über zwei Stunden lang ertragen muss, ist ein bemerkenswerter Etikettenschwindel, der den Barbier von Bagdad bis zur Unkenntlichkeit entstellt und durch alberne Abwegigkeiten zum Klamauk verkommen lässt. Einige musikalisch gut gelungene Passagen, ein paar schöne Töne reichen da als Entschädigung nicht. In der Pause gibt’s Sekt, das hilft ein bisschen.

10. März 2017

Die Größe und den moralischen Fortschritt einer Nation kann man daran messen, wie sie die Tiere behandelt.
Mahatma Gandhi

Wenn du bei Nacht den Himmel anschaust, wird dir sein, als leuchten alle Sterne, weil ich auf einem von ihnen wohne, weil ich auf einem von ihnen lache. Du allein wirst Sterne haben, die lachen können.
Antoine de Saint-Exupéry, Der kleine Prinz

8. März 2017

In der Erwartung, für einen ganzen Spielfilm zu müde zu sein, habe ich gestern Abend den Spielfilm Letzter Moment (NDR/Arte 2009) zur Aufnahme programmiert. Ich habe die ersten Minuten gesehen, dann die erste halbe Stunde, schließlich den ganzen Film. Sathyan Ramesh (Buch und Regie) erzählt die Geschichte von Isabel (Ulrike C. Tscharre), die sich kurz vor ihrer Hochzeit in einen fast vierzig Jahre älteren Mann (Matthias Habich) verliebt, trotzdem heiratet, dann aber ihre eigene Hochzeitsfeier im Augenblick der Erkenntnis verlässt. Bei der ersten Begegnung ihres neuen Freundes mit ihren Eltern erkennen sich der Liebhaber und Isabels Mutter wieder. Sie waren vor Jahrzehnten ein Liebespaar, sahen sich seither nicht, doch haben einander nie vergessen. Das ist der Ausgangspunkt für alle Beteiligten, unzählige Fragen zu stellen, ohne die meisten von ihnen wirklich zu benennen. Sind viele gemeinsame, vertraute und geräuschlose Jahre mit wenig Liebe besser als wenige, unwägbare und problematische Jahre mit viel Liebe? Was ist wirklich wichtig, worauf kommt es an?

Letzter Moment ist ein sehr lebenskluger, sensibler und poetischer Film, in dem Ulrike C. Tscharre und Matthias Habich absolut herausragend agieren. “Habichs Mundwinkel und Tscharres Augen drücken mehr aus, als die meisten deutschen Schauspieler vermögen. Ich liebe diesen Film! Lasst euch verzaubern!”, lautet ein Kommentar auf TV Spielfilm. Und eure Müdigkeit wird verfliegen, füge ich hinzu.

6. März 2017

6. März 2017

Vor ein paar Tagen lief im NDR-Fernsehen die Wiederholung des Tatorts “Weil sie böse sind” (2010). Keine herausragende Folge, aber immerhin prominent besetzt, u. a. mit Markus Boysen (der leider früh ermordet wird), Peter Lerchbaumer (der leider zu wenig Text hat) und Matthias Schweighöfer (der leider den Kasperl gibt, obwohl er das Krokodil ist). Der Film beginnt mit einer minutenlangen Sequenz, welcher das Allegretto aus Beethovens 7. Sinfonie unterlegt ist. Währenddessen – wir sind sozusagen noch im Vorspann – lesen wir, wer die zuständigen Personen für Szenenbild, Schnitt, Ton, Kamera etc. sind. Für die Musik wird Fabian Römer genannt. Noch immer läuft Beethoven, der ungenannt bleibt und auch im Abspann keine Erwähnung findet. Wer das Stück kennt und den Komponisten noch dazu, der mag sich wundern. Am Schluss dann die Aufklärung: Übereinstimmungen oder Ähnlichkeiten mit realen Personen wären rein zufällig.

Pause bis zum 5. März 2017

24. Februar 2017

Richtig, das Foto zeigt Georg Friedrich Händels Wohnhaus in London, heute das Handel House Museum in 25 Brook Street, London. In diesem Haus lebte Händel von 1723 bis zu seinem Tod im Jahr 1759. Der 23. Februar ist Händels Geburtstag. Normalerweise begehe ich diesen Tag mit Earl Grey und Shortbread. Gestern gab’s stattdessen heiße Zitrone und Hühnersuppe, erkältungsbedingt. John Mainwaring, Händels erster Biograf, verschweigt übrigens den allgemein bekannten, übermäßigen Appetit des Meisters nicht und bestätigt dessen “beständige und reichliche Versorgung mit Lebensmitteln”. Über Händels Essgewohnheiten bei grippalen Infekten äußert er sich nicht. Aber Kapaune, Schinken, Austern und Liköre ließen sich schon damals recht gut eine Weile lang aufbewahren.

23. Februar 2017

23. Februar 2017

Frage des Tages:
Was ist auf dem Bild zu sehen? Einsendungen bitte per E-Mail. Es gibt was zu gewinnen, versprochen.

21. Februar 2017

Fürst Leopold von Anhalt-Köthen war Dienstherr, Freund und Förderer von Johann Sebastian Bach. Leopold hatte als dilettierender Gambist den Wunsch, sich hier und da mit einfachen Partien an gemeinsamer Kammermusik zu beteiligen. So enthält das Brandenburgische Konzert Nr. 6 eine recht leichte Gambenpartie. Zwar gehen die Anforderungen über das Spielen leerer Saiten hinaus, doch sind insgesamt die technischen Hürden wahrlich nicht hoch. Bach hat seinem Arbeitgeber dessen Herzenswunsch gerne erfüllt. Unter Verzicht auf die Mitwirkung von Violinen gestaltete er die übrigen Stimmen umso kunstvoller und verhalf dem Konzert zu einer Sonderstellung innerhalb der ganzen Sammlung.

Auch von Mozart wissen wir, dass er mit seinem Konzert in F-Dur für drei Klaviere und Orchester KV 242 einer befreundeten Salzburger Familie ein besonderes Geschenk “zum Mitspielen” machte. Komponiert ist das Werk für die Gräfin Antonia Lodron und ihre beiden Töchter Aloisia und Josepha. Insbesondere der dritte Klavierpart ist sehr leicht, so dass in einer Aufnahme aus dem Jahr 1981 der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt die Stimme übernehmen konnte, im Zusammenspiel mit Christoph Eschenbach und Justus Frantz an den übrigen Klavieren.

Bleibt die Frage, wer heute den Zelebritäten dieser Welt etwas zum Mitspielen schreiben könnte. Und wer die Klasse hätte, sich dessen würdig zu erweisen, nicht nur musikalisch.

19. Februar 2017

Der Mensch will beschäftigt sein. Darum muss viel sprechen, wer wenig denkt.
Luc de Clapiers, Marquis de Vauvenargues (1715 – 1747)

17. Februar 2017

17. Februar 2017

Point Rd, Little Haven
Haverfordwest SA62 3UL
UK

Erinnerungen. Die Tage verbringen wir mit langen Küstenwanderungen entlang des Pembrokeshire Coast Paths, mit Ausflügen nach St. Davids, Porthgain oder Tenby. Wir besuchen Kirchen und Museen, Antiquariate, Häuser und Gärten des National Trust. Wir bestellen Cream Tea mit Scones, Clotted Cream und Strawberry Jam, kaufen einen Kalender fürs nächste Jahr, ein paar Postkarten. Vor dem Abendessen gehen wir auf ein Bier ins Swan Inn, früher eine spelunkige Schmugglerkneipe, heute ein ambitionierter Pub mit entsprechender Speisekarte. Zum Essen gehen wir ins Castle, das ist nicht ganz so fein, dafür erschwinglich und mit sehr nettem Personal. Ob Tom, der aussieht wie der junge Burt Lancaster, noch dort arbeitet? No worries. Boondoggle. Any excuse.

16. Februar 2017

Heute geht es im Filmmusik-Kurs um leitmotivische Technik. Am Beispiel von Once Upon A Time In The West (“Spiel mir das Lied vom Tod”) werden wir sehen und hören, wie jede der handelnden Personen eine eigene musikalische Signatur erhält und somit auf akustischem Wege Hinweise gegeben werden, die von der Leinwand selbst nicht ausgehen. Richard Wagner lässt grüßen – schon in dessen Musikdramen steht das Liebespaar auf der Bühne, aber aus dem Orchestergraben erklingt die Musik des Rivalen. Das Glück ist bedroht – nicht sichtbar, aber unüberhörbar! Wir Zuschauer sind dem Liebespaar voraus, wir wissen mehr, wenigstens im Theater…

In den folgenden Wochen kümmern wir uns dann um verschiedene Arten der Filmmusik – nicht zu verwechseln mit Musik im Film, wie z. B. in Out of Africa (“Jenseits von Afrika”) mit dem 2. Satz aus Mozarts Klarinettenkonzert oder Monsieur Hire (“Die Verlobung des Monsieur Hire”) mit dem Finale aus dem Klavierquartett von Brahms. Auch eklektizistische Techniken werden wir behandeln, Paradebeispiel ist Hannah and her Sisters (“Hannah und ihre Schwestern”) von und mit Woody Allen. Ganz wunderbar ist hier die Taxiszene mit dem Anfang aus Puccinis “Madame Butterfly” – Fugato gleich Verstrickung, besser geht’s nicht. Ein Film mit Bach, Oper und Jazz, und das mit Mia Farrow, Barbara Hershey, Michael Caine und Max von Sydow. Ein Meisterwerk! Damit nicht genug – Le Roi danse (“Der König tanzt”) aus der Gattung Historienfilm mit der Originalmusik von Lully ist sozusagen ein Pflichtstück, ebenso wie The Innocents (“Schloss des Schreckens”) aus der Abteilung Horrorfilm – hier besteht die Musik aus einer unbegleiteten, übersetzt schutzlosen Kinderstimme, solo und a capella in einem Gruselschloss, wie wunderbar! Und, nicht zu vergessen: Vivement dimanche! (“Auf Liebe und Tod”), der letzte Film von François Truffaut, aus der Sparte Kriminalkomödie mit der Musik von Georges Delerue.

15. Februar 2017

Nach einer neuen Veröffentlichung des Statistischen Bundesamts musizieren gegenwärtig über drei Millionen Menschen in Deutschland in einem Chor, einem Instrumentalensemble oder einem Orchester. Nur knapp 70.000 davon sind Profis. Im Zusammenhang mit der steigenden Nachfrage nach Musikunterricht beschreibt Claudia Wanner vom Verband Deutscher Musikschulen (VdM) die Suche nach qualifizierten Lehrern als problematisch. Viele Fachlehrkräfte sind nicht für die Breitenausbildung zu gewinnen, so der Befund, und wollen vorrangig auf die Bühne. Und außerdem: “Lehrer an Musikschulen verdienen zu wenig.” So schlicht, so wahr.

Die seit geraumer Zeit am stärksten boomende Gruppe ist übrigens die der Senioren, die ihr früher einmal gelerntes Instrument auffrischen und dann in sogenannten “Silberlocken-Orchestern” ihren Spaß haben. Und die, die einfach mehr über Musik wissen wollen und sich weiterbilden in Seminaren zur Musikgeschichte, in Hörkursen, auf Opern- und Konzertreisen sowie in konzertpädagogischen Veranstaltungen.

13. Februar 2017

Plácido Domingo soll einmal gesagt haben, die Partie des Don José in Bizets Oper Carmen sei seine Lieblingsrolle, da die Darstellung des Verlustes von Selbstachtung und Selbstwertgefühl des verzweifelten Liebhabers in keiner anderen Oper ähnlich eindrucksvoll sei. Vielleicht hat der gute Plácido das tatsächlich gesagt, es wäre durchaus nachvollziehbar. Doch Vorsicht, nach einer anderen Quelle soll er gesagt haben, er habe keine Lieblingsrolle: “Das ist, als fragte man die Eltern einer spanischen Großfamilie, welches ihr liebstes Kind ist. Man liebt sie alle. Aber die wichtigste Rolle ist immer die, die ich gerade singe. Ihr gehört meine ganze Kraft und Energie.”

Das hört sich ebenfalls gut an. Wahrscheinlich hat er sowohl das eine als auch das andere gesagt. Wer jahrzehntelang Interviews gibt, der sagt halt viel, und auch schon mal das Gegenteil. Wie auch immer, wir hören heute den ersten Akt der Carmen aus der legendären Aufführung der Wiener Staatsoper 1978 (R.: Zeffirelli; Domingo, Obraztsova, Buchanan; Kleiber). Eine Sternstunde der Oper! Der Schlussbeifall nahm die Länge der ganzen Oper an, glaubt man dem damaligen Kritiker der Süddeutschen Zeitung. Wahrscheinlich stimmt es, wie auch das Gegenteil.

10. Februar 2017

10. Februar 2017

Besonders aufregend und lange in Erinnerung sind Situationen, in denen unklar, aber entscheidend ist, wodurch die empfundene Verführung entsteht und ob wir ihr nachgeben werden. Manche Fragen stellen sich zur Unzeit.

9. Februar 2017

Die 1997 bei EMI Classics erschienene DVD mit Schuberts Streichquartett Nr. 14 “Der Tod und das Mädchen” enthält außer der fantastischen Aufnahme mit dem Alban Berg Quartett auch Bonusmaterial. Neben diversen Kommentaren zur Komposition sowie zur Interpretation und Gestaltung sind Unterrichtssituationen mit dem damals sehr jungen Artemis Quartett zu sehen. Sehr schön daran ist, dass auch Laien erkennen, besser gesagt erhören können, wie sich kleinste dynamische oder agogische Veränderungen auswirken und – je nach Dosierung – schnell zu viel oder zu wenig des Guten getan werden kann. Als “special guests” sind obendrein noch Julia Varady (Sopran) und Dietrich Fischer-Dieskau (Klavier) zu hören. Bei aller Wertschätzung für Frau Varady, aber so gut wie jeder hätte sich wohl eine sängerische Interpretation von Fischer-Dieskau gewünscht. Dass er sich stattdessen ans Klavier setzt, ob aus eigenem Entschluss oder auf Wunsch der Produktionsfirma, ist nichts weiter als snobistisch und für die erwartungsvolle Zuhörerschaft schlicht enttäuschend.

6. Februar 2017

Hin und wieder übernehme ich vertretungsweise Orgeldienste, so auch gestern. Manchmal ist das ganz schön, je nach Instrument, Kirche, Gemeinde und Tagesform. Gestern ist zunächst das Notenbuch mit den Liturgieabläufen nicht zu finden. Dann ist die Pfarrerin erkältet und will nicht singen, ich soll das bitte übernehmen. Dann eine lange Predigt über Moses in der Wüste. Ich bekomme Durst, wahrscheinlich fehlt mir deswegen beim Postludium die Inspiration. Es wird eine Improvisation im Schröder-Stil, etwas sperrig und mit vielen Quartparallelen. Ich höre mit einer leeren Quinte auf, mehr fällt mir nicht ein.

Im Fitness-Studio schaffe ich 30 Minuten auf dem Stepper ziemlich problemlos, mein Puls ist im grünen Bereich. Ich hänge noch ein paar Einheiten für Muskeln und Gelenke an. Zu Hause freue ich mich auf einen entspannten Nachmittag und mache Kaffee. Auf Kuchen verzichte ich, schließlich will ich die verlorenen Kalorien nicht gleich wieder draufschaffen. Ich stehe am Küchenfenster und sehe in den blauen Himmel. Swansea verliert in der Nachspielzeit. Irgendwie hält man immer mit den Falschen, sage ich. Nein, antwortet meine Tochter, du hältst mit den Richtigen. Die verlieren nur oft.

4. Februar 2017

Der Mensch ist das einzige Lebewesen, das erröten kann. Es ist aber auch das einzige, was Grund dazu hat.
Mark Twain (1835 – 1910)

2. Februar 2017

2. Februar 2017

Heute beginnen wir mit einem neuen Filmmusik-Seminar, das bis zu den Sommerferien laufen wird, ggf. auch länger. Wir wollen uns mit einigen Kompositionstechniken vertraut machen, den Einsatz von Instrumenten oder Instrumentengruppen untersuchen (gelten eigentlich immer die gleichen Regeln für Krimis, Western, Liebesfilme, Sozialdramen etc.? – natürlich nicht!), klangliche Vorbilder zum Vergleich heranziehen (besonders die Freunde von Wagner, Debussy und Strawinsky kommen hier auf ihre Kosten) und uns im weiteren Sinne mit der Frage beschäftigen, welche Funktionen Filmmusik hat und welche Wirkungen sie erzeugen kann.

Standesgemäß beginnen wir mit Psycho (USA 1960). Eine der Fragen wird sein, warum Hitchcock den Mord unter der Dusche ausgerechnet mit brutaler Begleitung der Streicher gedreht hat, wo diese doch üblicherweise den Verliebten zu Hilfe kommen. Hier schon mal die Auflösung für die, die heute nicht kommen können: Hitchcock wollte die Szene ursprünglich ganz ohne Musik drehen, aber Komponist Bernard Herrmann konnte ihn von den Streichern überzeugen (oder überreden). Wir wissen, dass Hitchcock in einem seiner früheren Filme einmal eine Szene drehte, in der ein Rettungsboot auf hoher See treibt. Hitchcock wollte die Szene völlig ohne Musik drehen und stellte die rhetorische Frage, wo denn um Himmels willen die Musik mitten auf dem Ozean herkäme. Komponist David Raksin war um eine Antwort nicht verlegen: “Fragen Sie Hitchcock, woher die Kamera kommt, und ich sage ihm dann, woher die Musik kommt.”

31. Januar 2017

Mit Franz Schubert komme ich in meinen Kursen eigentlich nie ungelegen. Heute, an seinem 220. Geburtstag, hatte ich seine große C-Dur Sinfonie dabei (“statt Blumen”, wie eine Teilnehmerin sagte), in einer Aufnahme des Europakonzerts der Berliner Philharmoniker unter Riccardo Muti aus dem Jahr 2009. Der Austragungsort, das Teatro di San Carlo in Neapel, ist seit meinem dortigen Besuch im letzten Sommer ohnehin etwas Besonderes für mich. Doch auch ohne dieses außergewöhnliche Ambiente wäre das Hören und Sehen wieder ein Erlebnis gewesen. Es ist einfach eine großartige Musik und – bei aller Bewunderung für Schubert – selbst für diesen Komponisten eine herausragende Komposition. Und Riccardo Muti dirigiert ganz unaufgeregt, sehr ökonomisch und in gutem Sinne streng. Sehr angenehm, sowohl für die Musiker als auch für das Publikum!

30. Januar 2017

30. Januar 2017

Mit einer spektakulären Matinee von La Moresca gehen gestern die 2. Wetzlarer Improvisationstage zu Ende. Mit seinem Crossover-Programm “The Lady’s Cup of Tea” begeistert das Ensemble für Alte Musik sowohl Liebhaber höfischer Barockmusik als auch Anhänger irisch-keltischer Folklore. Technisch auf herausragendem Niveau, begleitet von Spielwitz und hoher Improvisationskunst bescheren die Akteure dem Publikum einen gleichermaßen eigenwilligen wie außergewöhnlichen Hörgenuss. Dazu stellen die Musiker in launigem Ton ihre Instrumente vor, darunter Theorbe, Erzlaute und keltische Harfe. Das Publikum hat nach über zwei Stunden noch immer nicht genug und erzwingt mit stürmischem, lang anhaltendem Beifall zwei Zugaben.

Etwa eine Stunde nach Konzertschluss erhalte ich diese SMS einer Besucherin: “Welch ein glücklich machender Sonntagmorgen. Hätte am liebsten gleich einen Flug nach Irland gebucht. Vielen Dank.”

An den zwei Tagen zuvor sorgen das Berliner Ensemble Bassa und die Gießener Gruppe QuadrArt für ungewohnte Klänge. Bassa präsentiert mit seinem Programm “Tango Azul” Tanzmusik auf der Grenze zwischen Komposition und Improvisation. Musik zur blauen Stunde, zu hören in Salons und Bars, nachts oder frühmorgens, traumverloren und melancholisch. Der Wetzlarer Schwarz-Rot-Club ist mit zehn Tanzpaaren vertreten. Ihnen ist das Vergnügen anzumerken, sich nach dieser besonderen Musik bewegen zu können. Das Publikum zieht es dagegen vor, lieber nur zuzuhören. Die Einladung zum Mittanzen schlägt es aus. Vielleicht ist die Musik einfach zu schön.

QuadrArt verzichtet bei seiner experimentellen Musik auf traditionelle Parameter wie Harmonie oder Melodie. Die Klänge sind stark rhythmisch geprägt und leben von einer großen dymamischen Bandbreite. Die Tonerzeugung ist zuweilen kalkuliert verrrückt. Klaviertasten werden auch schon mal mit der Nase betätigt, der Saxofonist bläst zwei Instrumente gleichzeitig, der Cellist streicht und zupft nicht nur, sondern reibt, streichelt und massiert. Dazu entstehen großformatige Leinwandbilder von Valentin Gerstberger mit unterschiedlichsten Farbkompositionen. Klangfarbe, Farbklang. Assoziative Bilder zu spontaner, im selben Moment kreierter Musik. Das Ganze geht über zweieinhalb Stunden, und zu jeder Zeit sind alle Malplätze besetzt. Wunderbar!

27. Januar 2017

Gestern Abend, Konzertsaal der Wetzlarer Musikschule, erstes Konzert der diesjährigen Wetzlarer Improvisationstage. Das Berliner context-Ensemble ist zu Gast und bietet eine eigenwillige Mixtur aus Tönen, Texten, Klängen und Geräuschen, überwiegend leise und geradezu hörerziehend. Wer sich öffnen kann für die Wahrnehmung verhangener, verschütteter Zwischentöne, für die Wirkung von versonnener Nachdenklichkeit und Stille, der kommt unbedingt auf seine Kosten. Wenige eruptive und nicht antizipierbare Passagen, zumeist perkussiv und klaviergestützt, sind zuvor ungehörte Kontraste zu abgetönten, suchenden und beinahe sedativen Klängen. Ein Abend für Wache und Hörwillige. Und für die, die buchstäblich die Ruhe weg haben und sie nur zu gerne wiederfinden würden.

26. Januar 2017

Vor gut zwei Wochen habe ich hier auf The Hidden Heart hingewiesen, eine DVD-Dokumentation über Leben und Werk von Benjamin Britten. Seitdem haben wir uns in mehreren Kursen mit Peter Grimes beschäftigt, dem 1945 uraufgeführten und stürmisch bejubelten Opernerstling Brittens. Im Anschluss an den heutigen Vormittagskurs sagte eine Teilnehmerin, dass sie noch niemals zuvor von einer Oper so berührt gewesen sei wie von Peter Grimes (wir haben die gemeinsame Produktion von BBC und English National Opera aus dem Jahr 1994 gesehen). Eine schönere Bestätigung kann es kaum geben, sowohl für das Werk als auch für die eigene Arbeit!

Das Hessische Staatstheater Wiesbaden bringt Peter Grimes ab dem 4. Februar in einer Neuinszenierung auf die Bühne. Für die Vorstellung am 18. Februar haben sich bereits 12 Kursteilnehmende zum gemeinsamen Opernbesuch angemeldet.

25. Januar 2017

25. Januar 2017

Spätestens seit Match Point (2005) bin ich ein Bewunderer der Schauspielkunst von Scarlett Johansson. Sie spielt in dem Melodram (oder ist es ein Thriller?) hochsensibel und treffsicher auf der gesamten Klaviatur von Schuld und Sühne und Glück und Zufall und Liebe und Tod. Johanssons außergewöhnliche Performance kam nicht zuletzt durch die Inspiration und das Encouragement von Woody Allen zustande. Match Point ist einer der besten Filme Allens, wenn nicht sein bester. Scarlett Johansson hat seither noch viele Filme gedreht, in einigen davon ist ihre Ausstrahlung ähnlich intensiv wie in Match Point.

Johanssons Engagement für Entwicklungshilfe und soziale Gerechtigkeit sowie für Umwelt- und Schulprojekte ist seit Jahren bekannt. Hätten wir nicht ohnehin schon lange große Sympathien für sie gehegt, wäre es jetzt so weit gewesen, nach ihrer Rede beim Women’s March in Washington im Anschluss an die Amtseinführung von US-Präsident Trump.

“President Trump, I did not vote for you. That said I respect that you are our president-elect and I want to be able to support you. But first I ask that you support me. Support my sister. Support my mother. Support my best friend and all of our girlfriends. Support the men and women here today that are anxiously awaiting to see how your next moves may drastically affect their lives.”

24. Januar 2017

24. Januar 2017

Improvisation – das ist, wenn niemand die Vorbereitung merkt.
François Truffaut (1932 – 1984)

23. Januar 2017

Puppenspieler, König.

König: “Puppenspiel – ist das schwer?”
Puppenspieler: “König ist schwerer.”
König: “Und dennoch will er es werden?”
Puppenspieler: “Gestattet Ihr mir eine Frage, Hoheit? Seht Ihr die Vögel? Wie sie glücklich durch die Lüfte tanzen?
Was wäre dabei, wenn Eure Töchter es ihnen gleichtäten?”
König: “Wir trauern um die verstorbene Königin.”
Puppenspieler: “Ja, das weiß ich wohl. Aber auch, dass das Leben weitergeht.”
König: “Seines vielleicht nicht, Puppenspieler.”
Puppenspieler: “Dann wünsch ich mir, dass auf meinem Grab getanzt wird.”
König: “Nutze er die Nächte, die ihm noch bleiben.”

Die zertanzten Schuhe (Ljubek, David, Hallervorden u. a.; R.: Eißler. ARD 2011)

22. Januar 2017

Gestern habe ich im Gießener Kinopolis Roméo et Juliette von Charles Gounod gesehen, live aus der Metropolitan Opera. Es war mein erster Versuch, Oper im Kino zu erleben. Am Ende, nach gut drei Stunden, bin ich mit sehr zwiespältigen Gefühlen heimgefahren, was mit der Aufführung selbst nichts zu tun hat. Nebenbei: Diana Damrau war eine exzellente Juliette, Vittorio Grigolo ein mehr als überzeugender Roméo, Dirigent Gianandrea Noseda sorgte für differenzierte Orchesterklänge. Die Nebenrollen waren gut bis ordentlich besetzt, der Chor agierte präsent und sicher. Die Inszenierung ging keine Risiken ein, auch Ausstattung und Kostüme waren konventionell und ohne Verschreckungspotential.

Oper im Kino, live aus der Met. Für € 31,50 hat man einen schönen Platz, sitzt darauf auch bequem und sieht und hört gut. Letzteres allerdings nur, wenn die Tontechnik die Voraussetzungen dazu schafft. Mit viel Fantasie kann man sich vielleicht eine Weile lang einbilden, wirklich in der Met zu sein. Wenn das Bild wackelt oder ganz stehen bleibt, wie etwa zwanzig Minuten vor Schluss geschehen (da wechselten auch die Untertitel von deutsch zu englisch), wird es mit der Autosuggestion schon schwieriger. Dann kann man sich immer noch vergegenwärtigen, dass ein Großteil des Publikums fein angezogen ist, wie in der Oper eben. Es gibt vorher und während der Pause (gegen Vorbestellung!) Sekt, Wein oder sonstige Getränke. Man darf die Gläser sogar mit zum Platz nehmen, was in der Oper gottseidank nicht erlaubt ist. Wir sind im Kino, vergessen wir das nicht. Es ist größer als das heimische Wohnzimmer, und man ist unter Leuten, immerhin. Ansonsten ist es Oper im Kino, das so tut, als sei es die Oper. Das ist wie teure Tütensuppe oder Premium Wandtapete “Backstein”. Lassen wir’s dabei.

20. Januar 2017

Ich glaube nicht, dass ich in meinen Beziehungen zu den Sängern übermäßig eitel gewesen bin. Bei der alljährlichen Rückkehr von Birgit Nilsson an unser Haus zelebrierte ich jedesmal das Ritual, dankbar vor ihr auf die Knie zu fallen. Nachdem ich 1971 in den Adelsstand erhoben worden war, kommentierte sie: “Sie machen das viel besser, seit Sie es für die Königin geübt haben.” Einmal fielen Bon Herman und ich gemeinsam auf die Knie, um Franco Corelli anzuflehen, bei einer Vorstellung in Cleveland für den erkrankten Carlo Bergonzi einzuspringen. Allerdings stellte sich heraus, dass wir an die falsche Zimmertür geklopft hatten. Eine ältere Dame streckte den Kopf heraus und erblickte zu ihrem Erstaunen zwei Männer, die auf dem Läufer vor ihrer Tür auf den Knien lagen.

Ich gestattete Joan Sutherland, uns ihren Mann als Dirigenten vorzuschreiben, und erlaubte Renata Tebaldi, uns zu einer Neuinszenierung von “Adriana Lecouvreur” zu zwingen, eine Oper, die ich verabscheue. Frau Tebaldi war immer sehr liebenswürdig und sehr hartnäckig; ich plegte zu sagen, sie habe Grübchen aus Eisen.
Sir Rudolf Bing (1902 – 1997), aus “5000 Abende in der Oper”

Sir Rudolf Bing war von 1950 bis 1972 Generalmanager der Metropolitan Opera in New York.

19. Januar 2017

19. Januar 2017

Gestern Abend haben wir uns, wie jeden Mittwoch, im Kreis der Opernfreunde getroffen und uns Donizettis Lucia di Lammermoor angesehen. Die Aufnahme aus der Metropolitan Opera aus dem Jahr 1983 zeigt Joan Sutherland in der Titelpartie auf der Höhe ihrer Gesangskunst, Alfredo Kraus ist ein fast ebenbürtiger Edgardo. Richard Bonynge am Pult wählt zumeist frische Tempi und kommt damit den Bühnenakteuren sehr entgegen. Die Inszenierung ist eher konventionell und unspektakulär, Kostüme und Ausstattung sind dagegen opulent und treffen den Geschmack derjenigen, die es gern üppig bis protzig mögen. Donizettis Kunstgriff, in der “Wahnsinnsarie” die Flöte im Orchestergraben sozusagen als Alter ego der um den Verstand gebrachten Lucia zum Einsatz zu bringen, ist ein kompositorisches Bravourstück der gesamten Belcanto-Epoche.

Dem vernichtenden Urteil meines Dirigierlehrers zur Studienzeit (“Über Donizetti kann man sagen: Die Callas hat das toll gesungen”) habe ich schon damals widersprochen, und zwar nicht wegen der Callas. Weder mein Lehrer noch ich kannten alle 71 Opern, die für Donizetti nachweisbar sind (das wird sich bis heute kaum geändert haben). Das gesamte Œuvre geht weit über Lucia di Lammermoor, L’elisir d’amore, La fille du régiment oder Don Pasquale hinaus. Maria Stuarda, Anna Bolena, Lucrezia Borgia und La favorite, um nur wenige weitere Opern zu nennen, sind dafür bekannte Belege mit zahllosen Aufführungen in allen großen Opernhäusern der Welt. Es dürfte dabei kaum der Anspruch ehemaliger wie heutiger Operndiven oder Startenöre gewesen sein, ihre herausragenden Stimmen an wertlose Partituren zu verschwenden.

17. Januar 2017

Das ist wahrscheinlich eine Naturerscheinung: dass man konservativer wird. Man erwärmt sich automatisch immer weniger für die Zukunft, weil man fürchtet, die Zukunft werde nur eine negative Steigerung der Gegenwart sein.
Max Goldt

15. Januar 2017

15. Januar 2017

Vor genau fünfzehn Jahren, im Januar 2002, spielte das Norsk Barokkorkester unter Rolf Lislevand in Oslo den Zyklus Lachrimae von John Dowland ein, dazu sechs Lieder zusammen mit der Mezzosopranistin Randi Stene. Dowlands Pavanen sind kunstvollste und weltberühmte Beispiele hochemotionaler, melancholischer Instrumentalmusik. Entstanden sind die Stücke wahrscheinlich zu Anfang des 17. Jahrhunderts während Dowlands Zeit am dänischen Königshof unter Christian IV. Dem Norsk Barokkorkester war fraglos bewusst, welche Maßstäbe Dowland hinsichtlich der Faktur wie des Ausdrucksgehaltes mit Lachrimae gesetzt hat. Ebenso dürften dem Ensemble andere Einspielungen namhafter Ensembles bekannt gewesen sein. Gleichwohl oder gerade deswegen ist den norwegischen Musikern eine mitreißende, aufwühlende Interpretation gelungen. Die Aufnahme ist ein einziges Plädoyer der Leidenschaft, technisch herausragend und dabei von atemberaubender Regel- und Zügellosigkeit der Gestaltung. Eine im besten Sinne unbeherrschte Aufnahme, wie sie nur jemand zustande bringt, der mit den Abgründen, Maßlosigkeiten, Verzweiflungen und Seelenqualen der Liebe bestens vertraut ist. Kein Wunder, dass die CD nur noch schwer zu bekommen ist. Wer die Gelegenheit hat, sollte sie unbedingt nutzen.

13. Januar 2017

13. Januar 2017

Zerbrochene Spiegel, unter der aufgestellten Leiter durchgehen, schwarze Katze von links, Salz borgen oder verschütten, Freitag, der 13…. Was sind die Ursprünge dieser vermeintlichen Unheilsboten?

Das Spiegelbild steht für die Seele desjenigen, der hineinschaut. Wenn der Spiegel bricht – also die Seele – braucht sie sieben lange Jahre, um wieder zu heilen. – Mit dem Durchschreiten einer aufgestellten Leiter fordert man das Schicksal heraus. Man verletzt die heilige Form des Dreiecks, das geometrische Zeichen für die Dreieinigkeit, die Trinität. – Salz borgen bringt Pech, beim Verschütten droht Streit. Dieser Aberglaube stammt aus der Zeit, als die weißen Körnchen noch sehr kostbar waren – der Verlust von Salz war also ein Unglück. – Wenn eine schwarze Katze unseren Weg kreuzt, dann hoffentlich von rechts. “Links” nämlich bedeutet im Volksglauben die Seite des Bösen oder Unheilvollen – die Ausdrücke “linker Vogel” oder “links liegen lassen” werden so verständlich.  – Ja, und beim letzten Abendmahl saßen dreizehn Menschen am Tisch – der 13. war der Verräter Judas, und Jesus wurde an einem Freitag gekreuzigt. Adam und Eva sollen übrigens freitags in den verbotenen Apfel gebissen haben. Das hat zur Vertreibung aus dem Paradies gereicht, da hat es dann Spiegel, Leitern, Salz und schwarze Katzen nicht mehr gebraucht.

11. Januar 2017

11. Januar 2017

Die DVD-Dokumentation The Hidden Heart (EMI Classics, 2009) stellt drei große Werke des englischen Komponisten Benjamin Britten (1913 – 1976) in den Mittelpunkt, Peter Grimes, War Requiem und Death in Venice. Familienangehörige, Sänger, Musikkritiker und weitere Zeitzeugen erinnern sich an ihre Begegnungen mit Britten, an Konzerte, Gespräche und Schriftwechsel, und geben einen Einblick in die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse der damaligen Zeit. Das künstlerische Schaffen Brittens wird – konzentriert auf die genannten Werke – ebenso dargestellt wie die persönliche Beziehung Brittens zu dem Tenor Peter Pears. Der Titel der DVD verweist darauf, dass beide Künstler sich zu ihrer Liebe nicht öffentlich bekennen durften – Homosexualität, dazu noch begleitet von Pazifismus, wurde von der damaligen englischen Gesellschaft mehrheitlich abgelehnt. The Hidden Heart ist ein gleichermaßen liebevolles, verständiges wie berührendes Porträt Benjamin Brittens, dieser bedeutenden Künstlerpersönlichkeit des 20. Jahrhunderts, seines Schaffens und seiner Welt. Sehr empfehlenswert, nicht nur für Britten-und Pears-Fans!

9. Januar 2017

9. Januar 2017

Ist man verliebt, so meinte einst Victor Hugo, so ziehen Sterne durch die Seele. Über Sternschnuppen, die zwar hell, aber nur kurz leuchten und dann auf Nimmerwiedersehen verschwinden, hat er nichts gesagt. Dabei sind Sterne, die lange durch die Seele ziehen, doch eher selten und lassen bisweilen den Verdacht aufkommen, dass mit ihnen etwas nicht stimmt. Vor allem, wenn sie auch nach längerer Zeit noch mit unverminderter Leuchtkraft strahlen.

Zwei Regeln habe das Leben, sagt Geheimrat Schlüter in Erich Kästners Drei Männer im Schnee (1955): “Zwei und zwei ist vier, und auf Frauen muss man warten.” Eigentlich ist der olle Schlüter nicht nur ein sympathischer, sondern auch kluger Kerl, doch hier sind seine Aussagen problematisch. Arithmetik ist Berechnung, also unsicher, und warten muss man nur auf Sterne, die durch die Seele ziehen. Auf Fixsterne wartet man dabei besonders lange, doch manchmal lohnt es sich.

7. Januar 2017

Gestern, auf dem Weg zur Universitätsklinik Gießen, bin ich an einem Hinweisschild mit der Aufschrift “Studierendencafé” vorbeigekommen. Von meinem Sohn weiß ich, dass er einen “Studierendenausweis” hat, anders als ich früher, der ich einen Studentenausweis hatte. Während der Fahrt habe ich mich gefragt, ob es nun auch Beifahrendensitz und Nichtschwimmendenbecken heißt. Und ob es in Schulen jetzt Lehrendenzimmer gibt (Raucherzimmer ja wohl nicht mehr, aber vielleicht Rauchendenzimmer?) und Lernendentoiletten? Oder Schüler/-innentoiletten, Schüler*innentoiletten oder SchülerInnentoiletten? (Schüler-Innentoiletten, haha!) Benutzen Bauhandwerkende (!) jetzt Mauerndenkellen? Und muss man jeden Quatsch mitmachen?

5. Januar 2017

Den zu Silvester 2015 gefassten Vorsatz, im neuen Jahr mindestens einmal pro Monat in die Oper zu gehen, habe ich 2016 in die Tat umgesetzt. Gesehen und gehört – in manchen Fällen muss ich sagen “erlebt” – habe ich Xerse von Cavalli in Caen, Tosca von Puccini in Essen, Die weiße Dame von Boieldieu in Gießen, Rigoletto von Verdi in Mainz, Boris Godunow von Mussorgsky in Wiesbaden, Der goldene Hahn von Rimski-Korsakow in Düsseldorf, La Calisto von Cavalli in Darmstadt, La Juive von Halévy in Mannheim, Aida von Verdi in Neapel, Benvenuto Cellini von Berlioz in Köln, Jephte von Händel in Amsterdam und Ezio von Gluck in Frankfurt am Main.

Für 2017 gilt der gleiche Vorsatz, und drei Vorstellungen habe ich für das Fühjahr bereits fest geplant: Les Troyens von Berlioz in Frankfurt (März), Il ritorno d’Ulisse in patria von Monteverdi in Dijon (April) und The Rake’s Progress von Strawinsky in Frankfurt (April).

Tipp: An der Staatsoper im Schillertheater Berlin hat King Arthur von Purcell am 15. Januar Premiere (Leitung René Jacobs), ein Workshop für Erwachsene findet dazu am kommenden Samstag, 7. Januar von 14 – 18 Uhr statt. Tickets sind an der Theaterkasse erhältlich: (030) 20 35 45 57.

Pause bis zum 5. Januar 2017

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