Die Aufführung von Hector Berlioz’ L’ Enfance du Christ (Die Kindheit Christi) in der Wetzlarer St. Walburgis-Kirche war zweifellos ein Gewinn für an Repertoire-Erweiterung interessierte Hörerinnen und Hörer, denn allzu häufig steht das Werk hierzulande nicht auf dem Programm.
In der Ankündigung hieß es, dass “opernhafte Dramatik, einfühlsame Pastoralklänge und romantische Klangpracht” zu erwarten seien. Doch nur allzu selten war all dies zu hören, was keineswegs an den Ausführenden lag. Das Philharmonische Orchester Gießen sowie Solisten, Chor und Extrachor des Stadttheaters, der Gießener Konzertverein sowie die Wetzlarer Singakademie unter der Leitung von Jan Hoffmann gaben ihr Bestes. Doch Berlioz hat bei seinem Oratorium Mühe, über eine fragmentarische Struktur hinauszukommen. Der erste einigermaßen entwickelte musikalische Gedanke erklingt nach einer halben Stunde, einen stringenten musikdramatischen Faden sucht man lange vergeblich. Modale Klänge, rezitativische Einschübe, Aufwallungen, Abbrüche, Neuanfänge. Das ist nicht derselbe Berlioz, dem wir “Les Troyens”, “La damnation de Faust” oder die “Symphonie fantastique” verdanken.
Das Werk war zu Lebzeiten Berlioz’ ein großer Erfolg, sowohl beim Publikum als auch bei den Kritikern. Diese meinten allerdings schon damals, beim Komponisten einen veränderten Stil ausmachen zu können, was Berlioz entschieden zurückwies. “Nichts wäre unberechtigter als diese Ansicht”, meinte er. “Der Stoff verlangt ganz von selbst eine naive, sanfte Vertonung und ist daher ihrem [der Kritiker] Geschmack und ihrer Intelligenz zugänglicher.” Na dann…