Gießener Anzeiger, 29.08.2024
Hitchcocks Klanglandschaft des Schreckens in Gießen vorgestellt
Bei »Frau und Kultur«: Zu Alfred Hitchcocks 125. Geburtstag blickt Thomas Sander, der ehemalige Leiter der Wetzlarer Musikschule, auf das Erbe des britischen Kultregisseurs zurück.
Von Alea Schmidt
Gießen. Ein unerwarteter Einbruch des Bösen im Alltag, ein Verbrechen oder gar ein Komplott: Zugleich machen Alfred Hitchcocks elegante Inszenierungen und sein zunehmend makabrer Humor die Angst zum Vergnügen. Als einer der einflussreichsten Regisseure der Filmgeschichte glänzte er nicht nur durch seine meisterhafte Erzählweise und seine innovative Kameraführung, sondern auch durch die kunstvoll gewählte Integration von Musik. Seine Zusammenarbeit mit Komponisten wie Bernard Herrmann hat das Genre des Thrillers maßgeblich neu definiert. 2024 jährt sich sein Geburtstag zum 125. Mal, was Anlass zu zahlreichen Feierlichkeiten und Rückblicken auf sein beeindruckendes Lebenswerk gibt.
Auch Thomas Sander, der ehemalige Leiter der Wetzlarer Musikschule e.V., weiß die facettenreiche Persönlichkeit des britischen Kultregisseurs zu schätzen. Im Rahmen der Veranstaltungsreihe vom Deutschen Verband für Frau und Kultur warf Sander in seinem Vortrag »»Rache ist süß und macht nicht dick« – Alfred Hitchcock zum 125. Geburtstag« einen Blick auf die alten Klassiker. Filmische Ausschnitte und das Verständnis für die Wirkung der jeweiligen Filmmusik inklusive.
»Kompositorische Glanzleistung«
»Hitchcock verstand es wie kein anderer, die emotionale Wirkung von Musik zu nutzen, um die Zuschauer in seinen Bann zu ziehen«, erzählt Sander zu Beginn seines Vortrages. Als großer Kinoliebhaber prägen ihn die Filme schon seit seinen jungen Jahren. Viele Werke würden sich mit komplexen psychologischen Themen wie Angst, Schuld und der Frage nach Identität beschäftigen und sich wie ein roter Faden durch die Filme ziehen. Trotz der düsteren Sphäre habe Hitchcock aber auch einen feinen Sinn für Humor, der in vielen seiner Filme zum Ausdruck kommt.
Eine der kunstvollsten Szenen eines Mordfalls sei in »Psycho« zu finden. Die schockierenden Bilder werden durch Hermanns markante Streichmusik verstärkt, die mit schrillen Tönen das Gefühl von Angst und Bedrohung intensivieren. So ziellos die Erzählung auf den ersten Blick auch erscheinen mag, desto wirkungsvoller sei die Pointe. Die Ermordung der Protagonistin habe bei der Veröffentlichung 1960 wahrlich für Schrecken gesorgt, manche Menschen mussten den Kinosaal verlassen. Sander beschreibt diesen Schrecken allerdings als »kompositorische Glanzleistung« und spielt die Szene dem Publikum gleich zweimal vor.
Der Fokus liege hierbei auf dem Zusammenwirken von Bild und Ton. Es sei die Kunst von Hitchcock, in Anbetracht an die szenische Darstellung, eine passende Komposition einzubauen. Die Klänge des Streichorchesters tragen maßgeblich zur Schaffung der Atmosphäre und Spannung bei. Auch die Höhe der Töne entspreche dem Tempo des Geschehens, erläutert Sander. Im Publikum herrscht großes Staunen. Leise ist ein »fantastisch« wahrzunehmen. Auf eine solche Art und Weise habe man die Szene so vorher nicht wahrgenommen, heißt es von einer Zuhörerin.
»Hitchcock war ein Meister darin, Musik nicht nur als Hintergrundgeräusch zu verwenden, sondern aktiv in die Erzählung einzubinden«. Die Szene auf dem Feld, in der der Protagonist in »Der unsichtbare Dritte« von einem Flugzeug verfolgt wird, mache dies besonders deutlich. Sie sei eine der spektakulärsten Szenen des ganzen Filmes, wie Sander anmerkt. Als ein hervorragendes Beispiel für Hitchcocks Fähigkeit, Spannung und Dramatik zu erzeugen, sei diese nicht nur visuell beeindruckend, sondern auch musikalisch meisterhaft untermalt. Während das Flugzeug mit einer bedrohlichen Präzision über den Verfolgten hinwegfliegt, verstärke Hermann mit einer dynamischen und treibenden Musik den Spannungsbogen. Hitchcock gelinge es hier einmal mehr, die visuelle Erzählkunst und musikalische Unterstützung zu vereinen.
In vielen seiner Filme verwendet der Kultregisseur wiederkehrende Motive, wie etwa die Idee des Unschuldigen, der in eine gefährliche Situation gerät. Vor allem in seinem Klassiker »Dial M for Murder«, auf deutsch »Bei Anruf Mord«, lasse sich dieses wiederfinden. »Ich würde Ihnen gerne noch einen Mordfall zeigen«, schmunzelt Sander. Die Protagonistin ist eine reiche Frau, die von einem armen Mann um ihr Leben und Geld gebracht werden soll. Als das Telefon klingelt und sie den Anruf entgegennimmt, wird sie überrascht und bringt den Angreifer um, damit sie nicht selber zum Opfer wird. Auch hier findet sich ein Eingriff in die musikalischen Parameter wieder. Die Klänge sind fortan nicht nur hoch und leise, sondern auch schnell und langsam, während sie das Geschehnis unterstreichen.
»Zeitloses Symbol für Kreativität«
»Hitchcock bleibt ein zeitloses Symbol für Kreativität und Innovation im Film«. In einer Welt, die von ständiger Ablenkung geprägt sei, erinnern seine Werke daran, wie wichtig es sei, Geschichten mit Tiefe und Spannung zu erzählen. »Sein Erbe lebt weiter -sowohl auf der Leinwand als auch in den Herzen seines Publikums«, heißt es abschließend von Sander. Ihn freue es zu sehen, dass seine Zuhörer und Zuhörerinnen im Rahmen des Vortrags nicht nur Interesse an der Thematik gezeigt haben, sondern auch die Bereitschaft, eine neue Herangehensweise auszuprobieren. »Tun Sie sich was Gutes und schauen Sie Hitchcock.«