Mit ihrem eigens für die Wetzlarer Improvisationstage kreierten Stück “Fishing in the Falling Tide” haben Studierende der Bochumer Ruhr-Universität das Festival gestern in beeindruckender Manier eröffnet. Wie im Programmtext angekündigt, präsentierte das Ensemble in Form einer Szenencollage seine experimentelle Auseinanderstetzung mit der Frage nach Individualisierung. Das Konzept von Sina Geist und Amelie Werner, durch Geräusche, Laute und Sprechtexte, Audioeinspielungen und Live-Musik sowie durch Bewegung und Bilder klangliche und szenische Wechselwirkungen von Planung und Improvisation zu erzeugen, ging vollends auf.
Das Publikum zollte den Akteuren Respekt, Anerkennung und viel Beifall für ein “für Wetzlar mutiges Stück”, wie ein Besucher bemerkte. Der abschließenden Einladung, sich über das gerade erlebte Stück mit dem Ensemble auszutauschen, folgte ein Großteil der Zuschauer.
Das Stück ging zu Ende mit einem Auszug aus Bob Mooreheads “Paradox unserer Zeit”, das von vielen als passender Abschluss der Performance angesehen wurde:
Wir haben hohe Gebäude, aber eine niedrige Toleranz, breite Autobahnen, aber enge Ansichten. Wir verbrauchen mehr, aber haben weniger, machen mehr Einkäufe, aber haben weniger Freude. Wir haben größere Häuser, aber kleinere Familien, mehr Bequemlichkeit, aber weniger Zeit, mehr Ausbildung, aber weniger Vernunft, mehr Kenntnisse, aber weniger Hausverstand, mehr Experten, aber auch mehr Probleme, mehr Medizin, aber weniger Gesundheit. Wir rauchen zu stark, wir trinken zu viel, wir geben verantwortungslos viel aus, wir lachen zu wenig, fahren zu schnell, regen uns zu schnell auf, gehen zu spät schlafen, stehen zu müde auf; wir lesen zu wenig, sehen zu viel fern. Wir haben unseren Besitz vervielfacht, aber unsere Werte reduziert. Wir sprechen zu viel, wir lieben zu selten und wir hassen zu oft. Wir wissen, wie man seinen Lebensunterhalt verdient, aber nicht mehr, wie man lebt. Wir haben dem Leben Jahre hinzugefügt, aber nicht den Jahren Leben. Wir kommen zum Mond, aber nicht mehr an die Tür des Nachbarn. Wir haben den Weltraum erobert, aber nicht den Raum in uns. Wir haben die Luft gereinigt, aber die Seelen verschmutzt. Wir können Atome spalten, aber nicht unsere Vorurteile. Wir haben gelernt schnell zu sein, aber wir können nicht warten. Wir machen neue Computer, die mehr Informationen speichern und eine Unmenge Kopien produzieren, aber wir erleben weniger miteinander. Es ist die Zeit, wo moderne Technik einen Text wie diesen in Windeseile in die ganze Welt tragen kann, und wo wir die Wahl haben: das Leben zu ändern – oder diesen Text und seine Botschaft wieder zu vergessen.