Wetzlarer Neue Zeitung, 19. Februar 2016
Brillant und lehrreich zugleich
Abschlusskonzert des Chorprojektes der Musikschule in Naunheims Kirche
von Andreas Müller
Wetzlar-Naunheim. Zu einer geistlichen Abendmusik hatte die Evangelische Kirchengemeinde Naunheim in Zusammenarbeit mit der Wetzlarer Musikschule in die evangelische Kirche Naunheim eingeladen. Thomas Sander, Leiter der Wetzlarer Musikschule, hatte das Projektensemble und den Projektchor sehr gut vorbereitet. In einem Benefizkonzert für die Kinder- & Jugendförderung stellte er Vokalmusikmusik des Hochbarock Instrumentalmusik der frühen Moderne gegenüber. Im Instrumentalensemble, besetzt mit drei Violinen, Bratsche, Cello und Kontrabass, spielten Dozenten der Musikschule mit Musikern anderer Ensembles zusammen. Die sechs Musiker waren optimal aufeinander eingespielt und harmonierten sehr gut. Sowohl als Begleitung und Stütze des Chores als auch bei den „Fünf Stücken für Streichorchester“ op. 44/4 von Paul Hindemith demonstrierten sie großes musikalisches Können und sorgten mit ihrem feinsinnigen Spiel für ein besonderes Klangerlebnis. Der Projektchor, bestehend aus 22 Sängern, hatte seit November geprobt.
Thomas Sander gab zu Beginn, aber auch immer wieder zwischen den einzelnen Stücken, wertvolle Erklärungen zu den Stücken und den Komponisten und wies außerdem auf Besonderheiten der Kompositionstechniken hin. So konnten sich die Zuhörer sehr gut auf die einzelnen Stücke einstellen. Rosenmüller hat seine Werke in schlichter Klangtechnik, aber mit großer Ausdrucksschönheit ausgestattet, erklärte Sander. Rosenmüller war für den Posten des Thomaskantors in Leipzig vorgesehen. Aufgrund des Vorwurfes der Päderastie wurde er es dann aber nicht. Sozusagen als Kontrapunkt zwischen die Barockgesänge stellte Sander immer die gleichen zwei Sätze (1. Satz: Langsam; 2. Satz: Langsam. Schnell) aus Hindemiths „Fünf Stücken für Streichorchester“. Über Hindemith wusste Sander zu berichten, dass er sein Publikum mit ungewohnten Klängen oft verschreckt habe. In Nazi-Deutschland durfte er schließlich nicht mehr gespielt werden, worauf Hindemith zunächst in die Schweiz, später in die USA auswanderte. Hindemith habe viel von „Gebrauchsmusik“ gehalten, berichtete Sander über den hessischen Komponisten. Er habe Musik begreifbar machen wollen. Sowohl Laien als auch Profis sollten Verständnis für die Musik erlangen. Um dies dem Naunheimer Publikum zu erleichtern, griff Sander zu dem Trick der Wiederholung. Somit war der Wiedererkennungseffekt gegeben und die Zuhörer konnten sich besser in diese Musik hineinhören.
Das erste Hindemith-Stück stand in einem ruhigen 4/4-Takt. Parallel zu den Gesangsstücken aus dem Barock wechselte auch das zweite Hindemith-Stück von einem langsamen Viertel-Takt in einen schnellen 3/2-Takt. Die Streicher intonierten sehr melancholisch und unterstrichen deutlich betonte Noten. War der erste Choral von Rosenmüller, „Alle Menschen müssen sterben”, in Moll notiert, steht der zweite „Nun Gott Lob, es ist vollbracht“ in Dur. Sander erklärte, dass damit musikalisch die Textstelle „jauchzen und springen“ und die Hoffnung, was nach dem Tod kommt, umgesetzt wurde. Er nannte Rosenmüller einen Klangmagier in der Übertragung von Bildern in Musik. Bei seinem Dirigat versank er tief in der Musik, ging förmlich in ihr auf und modulierte die Klänge mit seinen Bewegungen. Nach der dritten Wiederholung von Hindemith folgte ein sehr schlichter, dritter Begräbnisgesang.
Den Abschluss des Konzertes bildete der Schlusschor aus dem Oratorium „Jephte“ von Giacomo Carissimi (1605-1674). Dieser war als Lehrer sehr geschätzt. Sein berühmtester Schüler dürfte wohl Marc-Antoine Charpentiere gewesen sein, aus dessen „Te Deum“ die berühmte Eurovisions-Fanfare stammt. Carissimi baut im Schlusschor die Stimmen nacheinander bis zur Sechsstimmigkeit auf und sorgt in den drei Takten von Jephtes Wehklagen für eine im Barock ungewöhnliche Anhäufung von Dissonanzen. Mit langem Applaus dankten die Zuhörer für das besondere Konzert.
________
… freut mich sehr, gerade heute – am 135. Geburtstag von Armin Knab.