Heute Nachmittag, im Weihnachtskonzert der Wetzlarer Musikschule, erklingt unter anderem der langsame Satz aus dem „Winter“ der Vier Jahreszeiten von Vivaldi. Viele Musikliebhaber wissen nicht, dass es Sonette zu diesem berühmten Zyklus gibt, auf die die Musik komponiert wurde. Mit großer Wahrscheinlichkeit stammen die Texte von Vivaldi selbst. Für das Largo des „Winters“ gibt es diese Zeilen: „Ruhige und zufriedene Tage am Kamin zubringen, während draußen der Regen viele durchnässt.“ Die Solovioline steht dabei für das wärmende Feuer, die Pizzicati der Streicher verdeutlichen díe ans Fenster schlagenden Regentropfen. Nun ist die Rolle des Zuhörers eine Sache der Perspektive: Stehen wir draußen und gucken hinein, oder sitzen wir drinnen und schauen hinaus? Je nach Blickwinkel ändert sich die Wahrnehmung der Instrumente. Natürlich müssen sich auch die Ausführenden überlegen, welche Sichtweise sie transportieren wollen. Soll die Solovioline dezent begleitet werden, oder spielen die Streicher die Hauptrolle – mit dominanten, wenig schön gespielten Klängen? Auf dem CD-Markt gibt es unzählige Aufnahmen der Vier Jahreszeiten. Den größten Gegensatz bieten bis heute Karajan und Harnoncourt. Der eine mit Klangschönheit, aber ohne sonderliches Interesse am Inhalt der Sonette, der andere mit treffsicherer Textauslegung und dazu bewusst gewählter, rauer Intonation. Und wir können entscheiden, was uns besser gefällt!