Vor ein paar Tagen erhielt ich die nachfolgende Zuschrift einer Leserin. Vielen Dank für den schönen Text, den ich hier gerne wiedergebe!
Kennen Sie den Film über den berühmten Kastraten des 18. Jahrhunderts? Ja, natürlich ist das die Geschichte der furchtbaren Kastration, die das begnadete Sängerkind im dampfenden Badezuber überlebt, und die uns Zuschauer erschauern lässt. Aber hier geht es um mehr, nämlich um die Geschichte der Musik und des Empfindens. Im Film wird die bloße Virtuosität der endlosen, halsbrecherischen Koloraturen als schaler Abglanz des Schönen entlarvt. Denn diese Art zu singen und Musik zu hören hat sich mit dem aufgehenden Stern Georg Friedrich Händels überlebt. Dem Zuhörer stockt nun nicht mehr der Atem ob der ungeahnten Tonfolgen, bei denen der Absturz, der mögliche Makel über allem schwebt. Nein, es ist der schlichte Ausdruck, die Echtheit der (musikalischen) Empfindung, die die Zuhörer seitdem in ihren Bann gezogen haben. Was wäre die Oper ohne Händel? Pures höfisches Geklinge, eingeschränkt in ihren musikalischen Möglichkeiten und vor allem – in ihrer Wirkung. Ja, Farinelli hatte eine Stimme, die eine Oktave mehr Umfang hatte als andere. Aber das ist nicht alles. Was bleibt im Ohr – und im Herzen (denn das ist der direkteste Weg dorthin)? Diese Frage mag sich jeder beantworten, der die jungen amerikanischen Oktavwunder hört. Werden sie bleiben, im kollektiven Gedächtnis der Musikliebhaber, die Rihannas und Mariah Careys dieser Welt? Das wird sich zeigen, Whitney Houston und Tina Turner sicherlich, denn sie haben sich beim Singen die Seele aufgerissen – die eine mit tödlichem Ende, die andere als glückliche Soulrentnerin am Züri See). Was das mit Farinelli und Händel zu tun hat? Empfinden!