Es gibt Bücher, denen man eine gewisse literarische Qualität nicht absprechen kann und die man durchaus gerne liest, doch für die der Begriff “große Literatur” zu hoch gegriffen wäre. So ist es mir jetzt mit Späte Einsichten von David Leavitt gegangen (im Original The Two Hotel Francforts, New York/USA 2013). Das Buch hat Originalität und zuweilen auch Witz, und doch bleibt eine ganz andere Passage haften, die eher versonnen-nachdenklich klingt und umweht ist von leiser Melancholie. Und für diese Stelle allein hat sich die Lektüre des ganzen Romans dann gelohnt.

[…] Meine große Schwäche ist, dass ich den Fluss der Zeit nicht akzeptieren kann. Ich will gegen das Verblassen der Erinnerungen durch die Zeit ankämpfen. Ein ganz und gar vergeblicher Versuch, weil – vielleicht hast du das auch bemerkt – gerade die Erinnerungen, die wir am häufigsten beschwören, am schnellsten verblassen und durch – wie soll ich sagen – durch eine Art Erinnerungsfiktion ersetzt werden. Wie ein Traum. Wohingegen die Dinge, die wir völlig vergessen haben und die uns nach dreißig Jahren plötzlich mitten in der Nacht überfallen, eine gespenstische Frische haben. […]