“De mortuis nil nisi bonum” ist eine ausgezeichnete Vorschrift, sogar dann, wenn der in Frage kommende Tote eine leere Trommel war.
Edgar Allan Poe (1809 – 1849)

Schon oft habe ich mich gefragt, ob der Grundsatz “De mortuis nihil nisi bene” eine zeitliche Befristung beinhaltet, dass also z. B. bis zur Beisetzung, für sechs Wochen oder für ein Jahr über Tote nichts oder nur Gutes gesagt werden soll, nach Ablauf der Frist jedoch Abfälligkeiten erlaubt sind (z. B. “Hildegards Großvater war ja ein Gauner, der viele Leute übers Ohr gehauen hat” oder “Robert ist kürzlich gestorben, ist nicht schade drum, er war ein Lügner und Betrüger”).

Die Gesetzgebung der Antike kannte einen ,,postmortalen Persönlichkeitsschutz”, schon Plutarch berichtet darüber. Beleidigungen oder Schmähungen gegen Tote gerichtlich zu verfolgen, war Sache der Erben, also meist der Kinder. Die damals gültigen Regelungen beruhten zudem auf uralten Vorstellungen, nämlich der Angst der Lebenden vor den Toten (übrigens nicht nur bei den Griechen). Über Tote nicht schlecht zu reden, diente nicht nur dem Schutz Verstorbener (vor verbalen Übergriffen Lebender), sondern auch dem Schutz der Lebenden (der Gemeinschaft) vor einer befürchteten Wiederkehr und Rache der Toten (siehe: Heinz Barta, De mortuis nihil nisi bene).

“Man soll von den Lebenden nur Böses reden”, sagt Heinrich Heine, sozusagen praxisorientiert: Die Lebenden haben noch was davon.